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Künstlerbiographie: Spott auf eigene Kosten

Foto: NFP

Comiczeichner-Biopic "Don't Worry" Lachen, bis es nicht mehr wehtut

Weglaufen ist nicht: Gus Van Sant erzählt in "Don't Worry" vom Leben und Spotten des querschnittsgelähmten Comic-Künstlers John Callahan. Biopic mit Humor und Hellsicht.

Die Zeichnungen nur vermeintlich simpel, die Textpointen treffend wie provokant: Ein Baby, das sich in den Armen einer Nonne wundert, ob seine Mama wohl ein Pinguin sei. Jesus am Kreuz, der sich bei Gott dafür bedankt, dass es endlich Freitag ist. Zwei Rollstuhlfahrer, die sich in Westernmanier duellieren, denn die Stadt ist nicht barrierefrei genug für zwei.

Das sind nur drei - und als Bildbeschreibung natürlich nur unzulänglich wiedergegebene - Cartoons von John Callahan. Aber sie sind durchaus beispielhaft für das Werk des 2010 verstorbenen Zeichners, in dem sich in den besten Fällen böser Kalauer, humoristische Hellsicht und biografische Selbstbespöttelung vereinen.

In seinen 1989 unter dem Titel "Don't Worry, He Won't Get Far On Foot" veröffentlichten Memoiren beschrieb Callahan den eigenen Weg vom zwischen Selbstmitleid und Selbstzerstörung taumelnden Alkoholiker zum trockenen Künstler und Chronisten einer an Absurditäten reichen Welt. Dieser Weg war nicht nur sinnbildlich, sondern ganz buchstäblich verunfallt, da Callahan im Alter von 21 Jahren nach einer fatalen Sauftour im Auto querschnittsgelähmt im Krankenhaus erwachte.

Der Schlüsselmoment des Autounfalls

Die schonungslose wie unterhaltsame Autobiografie dient Gus Van Sant als Vorlage für seinen Film über John Callahan, den Joaquin Phoenix mit Hingabe verkörpert. In jeder einzelnen Szene ist seine Darstellung Callahans auch die eigentliche Konstante in einer sprunghaften Erzählung, die, ausgehend vom Schlüsselmoment des Autounfalls, maßgebende Episoden aus vier Jahrzehnten in Callahans Leben beleuchtet.

Dazu zählen seine destruktiven Rauschphasen in den siebziger Jahren, die Freundschaft mit dem extravaganten Therapeuten Donnie Green (Jonah Hill), der ihm einen unorthodoxen Ausweg aus der Alkoholsucht eröffnet, und die Beziehung zur schwedischen Flugbegleiterin und Physiotherapeutin Annu (Rooney Mara). Letztere erscheint als geradezu engelgleiche Figur, die Callahans Sehnsüchte nach Liebe, Sex und Fürsorge erfüllen kann.

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Derartige Überhöhungen in der Inszenierung machen insofern Sinn, als der Film konsequent John Callahans Sicht der Ereignisse übernimmt. Van Sant nutzt zudem die skizzenhafte, bisweilen mit surrealen Elementen durchsetzte Erzählung, um Motive zu betonen, die Callahans Leben - und in Teilen auch sein Werk - bestimmten: Die Agonie des ungewollten Kindes, das seine gleichsam vergötterte und verhasste Mutter nie kennengelernt hat. Die Wut des Missbrauchsopfers und Außenseiters auf Institutionen, insbesondere die katholische Kirche. Und der Schmerz des Suchtkranken und körperlich Versehrten, der zwar laut gegen die Welt ätzt, sich aber nicht zuletzt selbst schuldig an seinem Zustand fühlt.

Vor diesem Hintergrund waren die Cartoons für John Callahan auch ein Ventil, das Erleichterung und zugleich Anerkennung bot: Ohne falsche Rücksicht lachen, bis es nicht mehr wehtut.

Favorit der alternativen Popkultur

Diese Attitüde machte Callahan zu einem Favoriten der alternativen Popkultur, woran Van Sant indirekt durch die clevere Besetzung von Künstlern wie Kim Gordon (Sonic Youth), Beth Ditto (Gossip) und Carrie Brownstein (Sleater Kinney) in Nebenrollen erinnert. Van Sants eigene Affinität zu John Callahan erklärt sich auch durch den gemeinsamen Wohnort Portland, jene eigensinnige, bisweilen allzu sehr idealisierte Enklave im Nordwesten der USA, die Van Sant in zahlreichen seiner Independentfilme zum Schauplatz gemacht hat.


"Don't Worry, weglaufen geht nicht"
USA 2018
Originaltitel: "Don't Worry, He Won't Get Far On Foot"
Regie und Buch: Gus Van Sant
Darsteller: Joaquin Phoenix, Jonah Hill, Rooney Mara, Jack Black, Carrie Brownstein, Udo Kier, Kim Gordon, Beth Ditto
Produktion: Iconoclast, Anonymous Content, Big Indie Pictures
Verleih: NFP
Länge: 113 Minuten
FSK: ab 12 Jahren
Start: 16. August 2018


Wenn Callahan im elektrischen Rollstuhl mit wechselnd wilden Frisuren und nicht minder steilen Brillengestellen durch die Straßen rast, dann vollendet Van Sant in diesem trotz aller geschilderten Unbill durchweg lebensbejahenden Film das Bild eines nonkonformistischen Idylls, in dem jeder Freak ein Zuhause findet.

Die heitere Grundstimmung von "Don't Worry, weglaufen geht nicht" befördert natürlich die Gefahr, Callahans Zeichnungen als rein therapeutisches Werkzeug zu sehen, oder die widerständigen Aspekte seiner Kunst zugunsten der optimistischen Selbstfindung des Protagonisten auszublenden.

Aber womöglich ist Van Sants Film einfach die umgekehrte, positive Zuspitzung eines Callahan-Cartoons: Extrem gut getroffen, aber im Detail einfach ein bisschen zu schön, um wahr zu sein.