Es war ein strahlend schöner, sonniger Herbsttag über der Eifel

Kulturkritik und Trivialkultur des Groschenromans oder die Utopie des Happy End - Teil 2

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Es war 1971, als Perry Rhodan mit einem auf dem Mond aufgefundenen alten Raumschiff in der Wüste Gobi landete und dort mit Hilfe eines Schutzschirms die "Dritte Macht" errichtete, heute - rund 3000 Jahre später - ist das alles nur noch (Serien)Geschichte.

Aber in jenem Jahr hatte Klaus Kreimeier Sätze wie diesen geschrieben:

Bürgerliche Spiritualität, die sich der Indienstnahme durch den Pragmatismus kapitalistischer Herrschaft widersetzt, ohne sich zu konsequentem Verrat an der eigenen Klasse entschließen zu können, gerät unweigerlich in den Sog jener Melancholie, die in der spätbürgerlichen "Kulturkritik" zunehmend zur Attitüde belletristisch-wohlfeiler Auto-Suggestion geronnen ist. Kulturkritik selbst, als äußerste Lanzenspitze intellektueller Obstruktion, ist in ihrer heutigen Gestalt nur ein Produkt aus der intimen Verbindung zwischen progressiver geistiger Sensibilität und Schwermut, in der die "Gebildeten" ihr Entsetzen vor unmenschlichen Produktionsverhältnissen sublimieren.

Klaus Kreimeier

Auch das ist gefühlt rund 3000 Jahre her und bei dem Satz geht es um die Kulturkritik, zum Beispiel an Groschenromanen wie Jerry Cotton oder Perry Rhodan. Aber Kreimeier kritisierte seinerseits die Kulturkritik als bürgerlich und zwar - ganz im Zug der damaligen Zeit - mit Mao Tse Tung, was heute allerdings niemand mehr interessiert.

Müller und der Einschlag der Panzergranate: Wie der papierene Groschenroman das Internet und den Nerd im Keller überlebte - Teil 1

Das Triviale und mit ihr die Groschenhefte standen seit den 1970er Jahren einerseits unter dem Beschuss der Oberstudienräte und andererseits der Linken, vom Verblendungszusammenhang bei Adorno bis zur marxistisch-leninistischen Theorie der Massenmedien. Wie auch immer, Dr. Norden, Der Bergpfarrer und Co. kamen dabei nicht wirklich gut weg. Aber es war so, wie bei der engagierten Arbeiterfotografie der Weimarer Zeit: Das Proletariat fotografierte gerne schöne Landschaften anstelle des Klassenkampfes und musste immer wieder ermahnt werden, diese "bürgerlichen" Tendenzen in ihren Reihen zu bekämpfen.

Um was geht es also? Es geht um die heile Welt, die auch schon mal eine geheilte Welt sein kann. Das ist die Quintessenz der Trivialkultur und darin die Groschenromane, Kommunikationswissenschaftler haben dafür so furchtbar trocken bröselnde Worte wie "Escapefunktion".

Im Bastei-Verlag haben sie dafür andere Begriffe gefunden. So heißt es auf der Verlags-Website: "Woche für Woche warten Millionen Leser auf neue Geschichten, Episoden und Abenteuer ihrer Lieblinge. Ob Krimi, Western, Liebe oder Science Fiction - tauchen auch Sie ein in Ihre persönliche Unterhaltungswelt!" Dabei wird auch der Gebrauchswert der Hefte für den Leser angesprochen, etwa in der Abteilung Adel und Liebe: "Beim Lesen eines Liebesromans hole ich mir meinen Traummann wenigstens für ein paar Stunden in mein Leben" oder "Immer wenn ich traurig bin, lese ich einen Liebesroman und weine manchmal sogar dabei. Aber danach fühle ich mich besser", werden einige Statements von Leserinnen dargestellt.

Beim Berg- und Heimatroman heißt es: "Für die gegenwärtige Konjunktur von Heimatfilmen aus den 50-er Jahren, die Beliebtheit der Volksmusiksendungen und der Serien, in denen das Thema Heimat zumindest den Hintergrund bildet, gibt es gute Gründe: In der zunehmenden Orientierungslosigkeit bietet die Natur die Möglichkeit, sich auf traditionelle und wohlgeordnete Verhältnisse zu besinnen." Und wie sieht er aus, der oder die Leserin? "Unsere Leser entsprechen nicht der Kategorie 'graue Maus', sondern entstammen allen sozialen Schichten und Altersgruppen", weiß der Bastei-Verlag über seine Kunden. Und: "Die Romanheftkäufer sind dabei jünger, als Sie denken: Zwei Drittel unserer Leserschaft sind zwischen 30 und 65 Jahre alt!"

Und diese Leserschaft ist auch im Internet vertreten, zum Beispiel in den verschiedenen Foren zu den Serien des Bastei-Verlages. Interessanter Weise macht man sich dort auch über die Zukunft des Mediums Romanheft Gedanken. Da schreibt etwa ein "Larry Newman": "Wie seht ihr die Heftromane in den nächsten Jahren, werden sich große Serien wie John Sinclair und Jerry Cotton in Bahnhöfen und Kiosken auch noch dann finden lassen oder wird das in Zukunft immer schwieriger und die Auflage wird weiterhin immer kleiner?" Und er erhält Antwort von "dimenovel": "Es ist wirklich amüsant immer wieder zu lesen, daß das Romanheft totgesagt wird. Leute, wir wissen alle, daß der Heftroman nur mehr ein Nischenprodukt ist. Also jammert nicht immer über die Zukunft oder das baldige Ende der Serienhefte. Ich lese gerne Romanhefte zur kurzweiligen Unterhaltung und werde diese so lange wie möglich auch kaufen und konsumieren. Wenn man sich auf dem Markt so umsieht, geht der Trend doch bei immer mehr Produkten in Richtung Nischenmarkt. Die einen interessieren sich für dies und andere für das."

Was bleibt, ist die interessante Tatsache, dass die Romanhefte für eine Leserzahl in Millionenhöhe einen Gebrauchswert anbieten, und zwar in analoger Form auf Papier. Und das in einer medialen Umwelt, die mittlerweile von einem quasi unendlichen Unterhaltungsangebot im Internet und von hunderten Fernsehkanälen geprägt wird. In dieser Hinsicht ist der Heftroman ein doppelter Indikator: Zum einen verweist er auf das Verlangen nach einer Utopie, in der das Leben lebbar ist - weil am Ende nicht die Verzweiflung und das Aus, sondern das Happy End steht. Und wobei die mediale Form - das Heft aus Papier - in seiner technisch puristischen Form den Gegenentwurf zur High-Tech-Kommunikation rund um das Internet darstellt.

Und ist der Heftroman damit freigesprochen? Nein: "Ich bin auch net g'rad arm" - Teil 3.