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Sascha Lobo

Medien in Trump-Zeiten Berichterstattung und Haltung kann man nicht trennen

Donald Trumps Handeln ist absurdes Theater. Medien berichten darüber aber oft, als sei es ernstzunehmendes politisches Gebaren. Dabei kann man über manche Dinge nicht neutral und objektiv berichten.
Donald Trump

Donald Trump

Foto: MICHAEL REYNOLDS/EPA-EFE/REX/Shutterstock

Trumps Auftritt in Helsinki war einmal mehr phantasmagorisch, mir fallen kaum noch richtige Begriffe dafür ein. Der Berichterstattung leider auch nicht, und das ist vielleicht der Kern des Problems: Mit den Instrumenten politischer Normalität versucht der Journalismus, das Aberwitzige zu verarbeiten.

Meine Wahrnehmung ist: Trump erbricht sich und das Gros der Berichterstattung tut, als könne man das Ergebnis in Form einer Restaurantkritik besprechen. Es ist nicht so, dass ich eine simple Lösung wüsste, es fällt mir sogar immer noch schwer, das Problem richtig einzugrenzen. Aber etwas läuft sehr falsch mit der deutschen Berichterstattung über Donald Trump, und ich befürchte, das ist symptomatisch für die Hilflosigkeit klassischer Medien beim weltweiten autoritären Backlash.

Drei aktuelle Schlagzeilen aus deutschsprachigen Medien:

"Trump muss nach Helsinki-Gipfel Wogen in den USA glätten"
"Nach Treffen mit Putin - Druck auf Trump wächst"
"Trump erklärt und korrigiert sich"

Die Nennung soll nicht anklagend wirken, es handelt sich um Beispiele, die in allen seriösen deutschen Medien stehen könnten (auch auf SPIEGEL ONLINE). Gerade das deutet ja auf ein systemisches Problem hin.

Ein unabsichtliches journalistisches Geschenk

Die Schlagzeile "Trump erklärt und korrigiert sich" ist ein unabsichtliches journalistisches Geschenk für Trump, geboren aus dem Wunsch, die gewohnten redaktionellen Regeln zu beachten. Seine "korrigierende" Behauptung nach 24 Stunden, er habe aus Versehen "would" statt "wouldn't" gesagt, ist noch nicht einmal eine schlechte Lüge und schon gar keine Erklärung oder Korrektur. Sie ist schierer Bullshit.

Aber jede dieser Schlagzeilen normalisiert Trumps Weltgroteske als irgendwie akzeptables politisches Handeln, weitgehend unabhängig von der näheren Erläuterung im Text. Diese Überschriften gaukeln vor, dass hier Politik im normaldemokratischen Rahmen geschieht. Tatsächlich aber wird absurdes Theater gespielt.

Jede dieser Schlagzeilen könnte völlig austauschbar auch für irgendeine Tarifverhandlung verwendet werden, wo die Arbeitgeberseite einen etwas zu nassforschen Vorschlag der Nettoerhöhung um nur 0,4 Prozent für das Tarifgebiet Südwest unterbreitet hat und deshalb durch schlechte Presse unter Druck gerät.

Natürlich gibt es - zum Glück - in den meisten Medien zusätzlich einordnende Kommentare, aber das ist nicht die prägende Berichterstattung. Um im obigen Bild zu bleiben: Man kann über Kotze nicht berichten wie über ein misslungenes Tellergericht. Man muss sagen, dass es Kotze ist. Auch außerhalb von Kolumnen und Glossen.

Trump hackt die Nachrichten, und die Nachrichten lassen sich hacken. Noch immer. Von der mäßigenden Sprache bürgerlicher Medien bis zur hyperritualisierten Form der Meinungspräsentation - alles in klassischen Nachrichten, vor allem im bildgewaltigen Fernsehen, schreit: "Es folgt eine legitime normale politische Äußerung". Auch, wenn genau das nicht der Fall ist.

Eine ähnliche Wirkung haben nicht angemessen eingeordnete Zitate in schriftlichen Medien. Die Trump-Botschaft wird immer mitpräsentiert, und die entfaltet ihre Wirkung unabhängig von den klassischen redaktionellen Turnübungen drum herum - erst recht bei denen, die ohnehin medienskeptisch sind.

Zensur, Stalin, Käsemord

Wenn Trump morgen sagt, der Mond sei aus Käse, dann lauten die Schlagzeilen:

"Trump: Mond aus Käse"
"Trumps Äußerung zum Mond wird von Nasa zurückgewiesen"
"Diskussion um Trumps umstrittene Mond-Meinung"

Drei Tage später lässt sich die Wirkung auf Facebook beobachten, in Form von Beiträgen der Sorte: "Nasa gibt zu: Neil Amstrongs Cousin war zum Zeitpunkt der 'Mondlandung' an einer Käsefabrik beteiligt". Und "Käsemond - Was verschweigen sie uns?". 200.000 Likes. Dann erscheinen verständnisvolle Debattenartikel, die dazu aufrufen, die Ängste und Sorgen der Käsemondbürger ernst zu nehmen.

Die ersten Fragestellungen in klassischen Medien tauchen auf, ob nicht ein kleiner Teil des Mondes zumindest theoretisch aus Käse sein könnte - wegen eines Merkel-Fehlers bei der Ergänzung der EU-Käseverordnung  Nr. 608/2004 L 50 im Jahr 2015. Oder ob das nicht ohnehin allegorisch verstanden werden müsse und daher durchaus bedenkenswert sei. Letztlich seien die armen Käsemondbürger durch das ständige Beharren der Wissenschaft, der Mond sei aus Stein, geradezu in ihre Weltsicht hineingezwungen worden. Man dürfe nicht einmal mehr ohne harschen Widerspruch den Käsemond erwähnen: Political Correctness in der schlimmsten Form - Zensur, Stalin, Käsemord.

Lügen auch Lügen zu nennen, wäre ein Anfang

Wie gesagt sehe ich bisher keine simple Lösung für dieses Problem. Daueralarmierte Superlativ-Hysterie ist natürlich auch Unfug, aber Lügen auch Lügen zu nennen, wäre ein Anfang. Auch wenn vielen Journalisten widerstreben dürfte, in ihre scheinbar objektive Berichterstattung wertende Elemente einzubauen.

Die Notwendigkeit lässt sich aber etwa bei der Tagesschau beobachten. Zur reichweitenstärksten Sendezeit zwischen zwei WM-Halbzeiten wurden ohne jede Einordnung Statements des AfD-Vorsitzenden Gauland gesendet. Als sei die AfD eine normale Partei, aber das ist sie natürlich nicht. Um es mit den Worten des konservativen SPD-Abgeordneten Kahrs zu sagen: "Die AfD ist eine rechtsradikale Partei!" . Oder mit den Worten der linker Umtriebe enorm unverdächtigen CSU: "Brauner Schmutz" .

Den Vorsitzenden einer "braunschmutzigen" "rechtsradikalen Partei" als Inhaber einer gewöhnlichen, akzeptablen, demokratischen Meinung zu präsentieren, halte ich für fahrlässig und gefährlich. Es entspricht der hilflosen Normalisierung, die auch in den Schlagzeilen über Trump liegt.

Don't let Trump be Trump

Mir kommt es vor, als funktioniere die klassisch-journalistische Trennung von Berichterstattung und Meinung in Zeiten des autoritären Backlash nicht mehr. Denn sie wird missbraucht. Ich glaube, dass Journalisten heute qua Beruf auch Streiter für eine liberale Demokratie sind und dass sich dieser Umstand in den Nachrichten viel deutlicher spiegeln sollte. Man kann und sollte Berichterstattung und Meinungsartikel trennen: Aber man kann und sollte in diesen Zeiten nicht Berichterstattung und Haltung trennen.

Das hängt ganz unmittelbar mit dem Journalismus und seiner Kontrollfunktion für die Politik zusammen. Diese Aufgabe können Medien nur in einer liberalen Demokratie ausüben, wo Pluralismus ein Wert für sich ist. Es gibt das sehr bekannte Zitat des Philosophen Karl Popper: "Keine Toleranz für die Feinde der Toleranz", und einigermaßen ähnlich verhält es sich mit dem Pluralismus.

An dieser Stelle passt eine Passage aus dem Grundgesetz, Artikel 18 : "Wer die Freiheit der Meinungsäußerung ... zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht, verwirkt diese Grundrechte." Was genau das in redaktionellen Medien für Folgen haben sollte, möchte ich nicht allen anderen vorschreiben, aber es muss diskutiert werden, gern auch hitzig.

Die liberale Demokratie als Verschwörung

Im autoritären Backlash zweifeln immer mehr Menschen sowohl an der liberalen Demokratie, als auch am Wert des Pluralismus. Es sind nicht zufällig die gleichen, die ständig fordern, Medien müssten "neutral" berichten. Sie meinen damit, dass abweichende Meinungen gar nicht stattfinden sollen. Das ist auch die Essenz von Trumps Genöle nach "fairer Berichterstattung", womit er die ungefilterte Hofberichterstattung seiner Lügen verlangt.

Aus Sicht der Feinde der liberalen Demokratie ist die liberale Demokratie selbst eine Verschwörung und Journalismus ein Teil davon. Deshalb ist die Rücksichtnahme auf die rechte Opferpose auch so katastrophal falsch: Rechtsextreme fühlen sich auch dann noch als Opfer, wenn sie soeben zum Großkaiser ernannt wurden, weil sie die schiere Existenz der Andersartigkeit zur Bedrohung erklären. So wie Trump auch als mächtigster Mann der Welt noch immer seine Opfer-Show vorträgt, die dann als irgendwie ernst zu nehmendes politisches Gebaren Eingang in die Berichterstattung findet.

Aus meiner Sicht ist es das gegenwärtig sinnvollste mediale Mittel gegen die Schwäche der liberalen Demokratie, sich bewusst zu machen, dass freier Journalismus für sich bereits eine politische Haltung ist. Weil er nur in einer liberalen Demokratie möglich ist. Das bedeutet aber ehrlicherweise auch, nicht mehr so zu tun, als könne man neutral und objektiv über Vorgänge berichten, über die sich aus der Perspektive der liberalen Demokratie nicht neutral und objektiv berichten lässt. Don't let Trump be Trump.