Zum Tod von Michael Rutschky :
Der famose Herr Rutschky

Von Gerhard Henschel
Lesezeit: 6 Min.
Michael Rutschky, 1943 - 2018, hier auf einer Aufnahme aus den neunziger Jahren
Am Sonntag ist Michael Rutschky gestorben. Er war nicht nur einer der originellsten literarischen Beobachter, sondern auch ein Förderer junger Kollegen. 1991 stellte er Kathrin Passig und mir während unserer Wohnungssuche in Berlin sein Gästezimmer zur Verfügung. Eine Erinnerung.

In Berlin traf ich mich mit Kathrin am Bahnhof Zoo, und dann fuhren wir nach Kreuzberg zu den Rutschkys, voll froher Erwartung, denn wir wollten ja alle beide im Handumdrehen einen Mietvertrag ergattern.

Im Wohnungsflur sprang uns Kupfer entgegen, der muntere Hund. Herr Rutschky hieß uns willkommen und wies uns gleich in unser Gästezimmer ein. „Und was darf ich Ihnen anbieten? Tee? Oder Whiskey?“

„Eher Tee“, sagte Kathrin.

Wir stellten unser Gepäck ab, und dann kam auch Frau Rutschky aus der Tiefe der Wohnung, um uns zu begrüßen und sich zu entschuldigen: „Ich muß leider gleich wieder zurück an den Schreibtisch...“

Die Rassekatze Jettchen ruhte auf einer Fensterbank und sah uns mißtrauisch an. Und der Fernseher war wie immer auf MTV eingestellt.

„Mit Beethoven können Sie mich jagen“, sagte Herr Rutschky. „Was hören Sie denn für Musik, Frau Passig?“

„Bob Dylan“, sagte Kathrin.

„Ach? Hat der nicht eine schlimme christliche Phase durchlaufen?“

„Ja, aber die ist schon zehn Jahre her ... “

In den USA, sagte Herr Rutschky, spiele die Religion eine ganz andere Rolle als bei uns. Und der Song „Sad Eyed Lady of the Lowlands“ habe ihm viel bedeutet. „Den haben wir damals nächtelang gehört...“

Einmal ging Frau Rutschky hinter uns vorüber, als im Fernsehen gerade der Sänger Roland Gift mit seiner Band Fine Young Cannibals auftrat, und da sagte sie: „Wenn der hier morgen auf der Matte steht, dann bin ich weg, Herr Rutschky!“

Herr Rutschky lachte, und ich wunderte mich, weil Roland Gift nur ein Schlagersänger war, der zwar alle Töne traf, aber nicht mehr zu singen und zu sagen hatte als Tony Marshall. Was fand Frau Rutschky an diesem Eumel?

Es gab Cannelloni mit Ricotta und Spinat, und dann sahen wir uns zu viert Monty Python’s Flying Circus an. Das war ein Fest. Am meisten lachte Herr Rutschky über Graham Chapmans Einlage als Kulturpessimist, der über die Verdrängung der wahren Unterhaltung durch das Fernsehen klagte: Auf Weihnachtsfeiern habe er früher selbst gesungen und sich dabei mit stumpfen Instrumenten auf den Schädel geschlagen, um sich zu amüsieren. Und das machte Chapman nun vor: Er stimmte ein Lied an und haute sich dabei rhythmisch zwei Backsteine an die Schläfen.

Ohne Abo weiterlesen
Dies ist kein Abo. Ihre Registrierung ist komplett kostenlos, ohne versteckte Kosten.
Oder 3 Monate für 1 € pro Monat Zugang zu allen FAZ+ Beiträgen erhalten und immer aktuell informiert bleiben.