"Die USA sehen den Iran als die Wurzel vieler Übel"

Oliver Meier, stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), über Trumps Iranpolitik und den Umgang mit Nordkorea

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Die Rede von Donald Trump zum Atomabkommen mit dem Iran hat ja zunächst für einige Verwirrung gesorgt. Die Frage war, kündigt er das Ankommen nun oder nicht? Wie ist Ihre Interpretation der Rede?

Oliver Meier: Die Rede ist nicht nur der Versuch, dieses Abkommen zum Scheitern zu bringen. Sie hat auch nochmal deutlich gemacht, dass die USA eine grundsätzlich andere Politik im Nahen und Mittleren Osten verfolgen als die Europäer, die den Iran als möglichen Partner bei der Bearbeitung der Konflikte in der Region sehen. Die USA dagegen sehen den Iran als die Wurzel vieler Übel, zumindest in der Region. Und das schlägt eben auch auf das Atomabkommen durch. Die Trump-Administration bescheinigt nicht mehr, dass es im Interesse der USA ist, dieses Abkommen umzusetzen, überlässt es aber dem Kongress zu entscheiden, ob Sanktionen wieder verhängt werden, die unter dem Abkommen aufgehoben worden sind.

Ist das Atomabkommen wirklich nicht im amerikanischen Interesse, wie Trump behauptet?

Oliver Meier: Die Vorgängerregierung hat sehr gründlich argumentiert, warum es im amerikanischen Interesse ist zu verhindern, dass sich der Iran Atomwaffen beschafft. Und dafür ist dieses Abkommen nach wie vor der beste, der verlässlichste Weg. Ein Ausstieg der USA aus dem Abkommen würde die Gefahr vergrößern, dass sich auch der Iran zurückzieht und dann die vereinbarten Inspektionen und Beschränkungen des Atomprogramms hinfällig sind. Und damit steigt natürlich die Gefahr, dass sich der Iran Atomwaffen zulegt oder zumindest die Option dafür schafft.

Ist schon abzusehen, wie der US-Kongress reagieren wird?

Oliver Meier: Im Moment noch nicht. Es gibt eine Gesetzesvorlage zweier Senatoren, die noch nicht öffentlich geworden ist, aber wohl darauf hinzielt, bestimmte Aspekte des Abkommens neu zu schreiben und zusätzliche Bedingungen einzuführen. Das wäre höchst problematisch, weil es schwer vorstellbar ist, dass der Iran das ohne weiteres akzeptiert. Die Europäer lehnen eine solche einseitige Änderung der Bestimmungen ab. Wegen der politischen Kosten eines unilateralen Ausstiegs gibt es aber auch Widerstand unter den Demokraten. Deswegen ist es so wichtig, dass die Europäer sehr klar gesagt haben, welche Folgen ein solcher Schritt für die Region und das transatlantische Verhältnis haben würde.

Besteht eigentlich die Möglichkeit, dass das Atomabkommen einfach weiterbesteht ohne die USA, ähnlich wie das Klimaabkommen?

Oliver Meier: Ja, im Prinzip ist das denkbar. Es ist ja kein Vertrag, der davon abhängt, dass alle Parteien dabei sind. Es gibt auch kein Austrittsverfahren. Sondern es ist eine politisch verbindliche Vereinbarung, die man 2015 geschlossen hat und die dann in die Resolution 2231 des UN-Sicherheitsrates einging. Das Abkommen hätte zumindest aus rechtlicher Sicht auch Bestand, wenn die USA wichtige Bestandteile nicht mehr umsetzen. Politisch wäre das natürlich ein großes Problem, weil das Abkommen durch seinen Aufbau auch davon lebt, dass alle Parteien konstruktiv an seiner Umsetzung mitwirken. Politisch ist es insbesondere ein Problem, wenn die USA wieder Sanktionen verhängen, die europäische Unternehmen treffen, die mit dem Iran handeln. Dieser Handel ist aus europäischer Sicht ein positiver Nebeneffekt, das sehen die USA ganz anders.

Kritiker argumentieren, dass das Atomabkommen den Iran mächtig gemacht hat und damit eine Ursache von Kriegen wie in Syrien und Jemen ist.

Oliver Meier: Es ist tatsächlich so, dass sich die Außenpolitik des Iran in der Region nach der Vereinbarung nicht grundsätzlich geändert hat. Der Iran hat seither auch Raketentests durchgeführt, die zwar nicht verboten sind, die er aber laut der Sicherheitsratsresolution unterlassen sollte. Man muss aber auch sehen, dass das Abkommen im Iran innenpolitisch höchst umstritten ist. Mittlerweile unterstützen es große Teile der Bevölkerung und des politischen Systems, aber es gibt Kräfte, die es ablehnen und die zum Teil für diese Raketentests verantwortlich sind.

Die europäische Sichtweise ist, dass das Atomabkommen eine notwendige Voraussetzung dafür ist, dass der Iran seine Außenpolitik langfristig ändert und an der konstruktiven Bearbeitung der vielen Konflikte in der Region mitwirkt. Steigen die USA aus dem Abkommen aus, ist zu befürchten, dass im Iran diejenigen an Einfluss gewinnen, die eine noch konfrontativere Außenpolitik gegenüber dem Westen wollen. Von daher könnte diese Kritik am Iran eine sich selbsterfüllende Prophezeiung werden.

Die Gegenthese, die vor allem von Trump, Israel und Saudi-Arabien vertreten wird, lautet, es wäre besser für die Region, Iran wieder unter Sanktionen zu stellen.

Oliver Meier: Ich kann nicht erkennen, wie eine Isolierung des Iran dazu führen könnte, dass die iranische Außenpolitik konstruktiver wird. Wir hatten ja eine solche Isolierung über einen langen Zeitraum. Das hat nicht dazu geführt, dass Teheran sich an Konfliktlösungen beteiligt hätte. Die USA glauben, dass man Iran mit mehr Druck dazu bringen könnte, seine Haltung zu ändern. Es gibt aber wenig empirische Belege, dass das erfolgreich sein kann. Dafür wächst die Gefahr eines Krieges, wenn der Iran isoliert wird und militaristische Kräfte dort Auftrieb bekommen.

Ein einseitiger Ausstieg wirft einen Schatten auf die Verlässlichkeit der USA

Wäre das Atomabkommen mit Iran eine gute Vorlage für den Fall Nordkorea?

Oliver Meier: Eine Vorlage nicht, die Fälle sind zu unterschiedlich. Nordkorea hat schon Atomwaffen, der Iran nicht. Iran ist Mitglied im Nichtverbreitungsvertrag, Nordkorea ist ausgetreten. Auch die politischen Systeme unterscheiden sich deutlich. Im Iran gibt es eine pluralistische Gesellschaft, was im Hinblick auf Sanktionen und deren Wirkung wichtig ist. Aber natürlich wirft der Umgang mit dem ausgehandelten Atomabkommen einen Schatten auf mögliche Gespräche mit Nordkorea. Wenn die USA einseitig aussteigen, schwindet aus nordkoreanischer Sicht die Verlässlichkeit amerikanischer Außenpolitik.

Wie könnte der Streit um die nordkoreanischen Atomwaffen gelöst werden?

Oliver Meier: Eine Lösung ist momentan schwierig zu erkennen. Beide Seiten müssten von ihren Maximalpositionen abrücken. Im Moment geht es darum, den Einstieg in Gespräche zu schaffen. Dass Nordkorea auf seine Atomwaffen verzichtet, wie die USA fordern, ist wohl kurzfristig so unrealistisch wie die nordkoreanische Forderung, dass die USA Nordkorea als Atommacht anerkennen. Von diesen Maximalforderungen müssen beide Seiten abrücken, damit man herausfinden kann, wie man in einem schrittweisen Verfahren dazu kommen könnte, dass Nordkorea langfristig sein Atomwaffenprogramm beendet und abbaut. Im Gegenzug müsste es bestimmte Sicherheitsgarantien bekommen. Das wird aber ein langer Prozess sein.

Kürzlich hat die Kampagne zur Abschaffung aller Atomwaffen den Friedensnobelpreis bekommen. Ist ein generelles Atomwaffenverbot, wie es die UN neulich beschlossen haben, der richtige Weg?

Oliver Meier: Es wird sicherlich nicht der Weg sein, der zur Abschaffung von Atomwaffen führt. Dieses Ziel wird nur schrittweise und mit den Atomwaffenstaaten gemeinsam zu erreichen sein. Aber die Diskussion über nukleare Abrüstung ist durch diesen Verbotsvertrag und die dahinterstehende Bewegung bereichert worden. Nun werden die humanitären Folgen von Atomwaffeneinsätzen thematisiert und dass sie nicht mit den Regeln des humanitären Völkerrechts vereinbar sind. Bisher wurde die Diskussion über Abrüstung fast ausschließlich aus der Sicherheitsperspektive geführt. Letztlich müssen aber Atommächte und Anhänger des Verbotsvertrages aufeinander zugehen und darüber reden, wie man die unterschiedlichen Perspektiven zusammenbringen kann.

Die Bundesregierung hat sich an dem Verbotsvertrag nicht beteiligt. Muss sie jetzt ihre Haltung ändern?

Oliver Meier: Es ist eher unwahrscheinlich, dass die NATO-Verbündeten da kurzfristig ihre Haltung ändern. Aber der Nobelpreis macht deutlich, dass Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft heute eine größere Rolle bei nuklearer Abrüstung spielen als in der Vergangenheit.

Es droht der Zerfall der bisherigen nuklearen Ordnung

Bei der Kontrolle von Atomwaffen und ihrer Trägersysteme stehen wichtige Verträge auf der Kippe. Der eine ist der INF-Vertrag, mit dem 1987 Mittelstreckensysteme verboten wurden. Was ist das Problem?

Oliver Meier: Beim INF-Vertrag werfen sich beide Seiten vor, den Vertrag zu verletzen. Es besteht die reale Gefahr, dass dieser Vertrag scheitert. Im US-Kongress liegen Vorlagen für die Entwicklung neuer Mittelstreckenwaffen, die dann auch in Europa stationiert werden könnten. Außerdem werfen die USA Russland vor, neue Mittelstreckenwaffen entwickelt und stationiert zu haben. Wenn es nicht gelingt, diese Probleme zu lösen und der INF-Vertrag fällt, droht eine Aufrüstung im Mittelstreckenbereich.

Das andere ist der New-Start-Vertrag (New Strategic Arms Reduction Treaty). Sie haben kürzlich davor gewarnt, dass das New Start-Abkommen nicht verlängert wird. Warum?

Oliver Meier: New Start beschränkt die strategischen Atomarsenale der USA und Russlands. Es ist das letzte große Rüstungskontrollabkommen, das abgeschlossen wurde. 2021 läuft es aus, wenn es nicht beide Seiten um fünf Jahre verlängern. Das wäre aber dramatisch, weil dann bei den strategischen Atomwaffen eine Aufrüstung möglich wäre. Außerdem würden die Inspektions- und Verifikationsverfahren, die sehr gut funktionieren, wegfallen. Das wäre ein schwerer Verlust an Sicherheit, wenn man weniger Informationen hätte, was die andere Seite im Nuklearbereich tatsächlich macht.

Von daher ist zu hoffen, dass beide schnell den Einstieg in Gespräche über eine Verlängerung finden. Russland hat erklärt, darüber reden zu wollen. Aber US-Präsident Trump hat das Abkommen als schlechten Deal kritisiert. In mehreren Tweets und Stellungnahmen hat er gesagt, dass die USA ein größeres Nukleararsenal als Russland haben müssen. Das Abkommen enthält gleiche Obergrenzen für beide Seiten. Das missfällt ihm wohl.

Man kennt das ja inzwischen, für Trump ist jedes Abkommen, das vor seiner Zeit geschlossen wurde, das schlechteste jemals Abgeschlossene. Was sagen denn die längerfristigen Militärplanungen?

Oliver Meier: Die USA und Russland verwenden viel Geld, um die Nukleararsenale zu modernisieren und umzurüsten. Aber nicht, um zahlenmäßig aufzurüsten. Sowohl die USA als auch Russland sind immer noch dabei, den großen Überhang an Atomwaffen aus der Zeit des Kalten Krieges abzubauen. Von daher entbehrt Trumps Argument jeder Logik.

Wenn Sie die vergangenen Wochen Revue passieren lassen, die Nordkorea-Krise, der Friedensnobelpreis, die Iran-Rede von Trump - wie steht es jetzt um die Rüstungskontrolle?

Oliver Meier: Meine große Sorge ist, dass die internationale Gemeinschaft auseinanderdriftet beim Umgang mit der nuklearen Gefahr. In der Vergangenheiten hatten wir einen fragilen, aber grundlegenden Konsens des Nichtverbreitungsvertrages: Die Atommächte rüsten schrittweise ab und verringern die Bedeutung von Atomwaffen in ihren Sicherheitsstrategien. Und die Nichtatomwaffenstaaten akzeptieren entsprechende Überprüfungen.

Seit zehn, fünfzehn Jahren wird dieser Konsens immer schwächer. Die einen setzen auf ein vollständiges Verbot von Kernwaffen, die anderen, die Atomwaffenstaaten, erklären immer unverhohlener eine atomfreie Welt für nicht realistisch. Damit haben wir keinen Zusammenhalt mehr und das wird durchschlagen auf Institutionen wie die Internationale Atomenergie-Organisation und auch den Nichtverbreitungsvertrag, der von beiden Seiten infrage gestellt wird. Das kann zum Zerfall der bisherigen nuklearen Ordnung führen und damit zu neuer Aufrüstung.