Die Welt im Glashaus

Crystal Palace, London; Hyde Park, 1851. Bild: Alonso de Mendoza / CC-BY-SA-3.0

Die Umbrüche im Verhältnis von Mensch, Maschine und Natur spiegeln sich in der Architektur aus Eisen und Glas wider - Teil 1

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"Eisen, Eisen, nichts als Eisen!", rief Baron Haussmann, nachdem ein erster Versuch, neue Markthallen mit konventionellen Mitteln aufzubauen, gescheitert war. Es war um die Mitte des 19. Jahrhunderts, als Paris hygienisch bereinigt und militärstrategisch begradigt werden sollte. Die neuen Boulevards wurden begrünt, und der "Bauch von Paris", wie Zola die "Grandes Halles" nannte, erstreckte sich über zwei Gruppen von Pavillons, die durch überdachte Straßen miteinander verbunden waren. Die geräumige Anlage ließ Licht und Luft ein. Als zur gleichen Zeit in Paris Bahnhöfe, Bibliotheken und Kaufhäuser errichtet wurden, war die "Eisenzeit" bereits voll im Gange. Sie entwickelte sich aus dem Gewächshausbau. So kommt zum eisernen das gläserne Zeitalter.

Im Mittelpunkt steht die gusseiserne Säule. Besonders in der Anfangs- und in der Endzeit, was ungefähr die Zeitspanne des 19. Jahrhunderts umfasst, war sie antiken Vorbildern nachempfunden: dorisch oder pompejanisch. Dabei war ihre erste Stellung sehr diskret. Wenn sie steinerne Gebäude stützte, war sie von der Wand zurückgezogen. Das war die eigentliche, nicht nur technische Revolution: die Trennung von Stütze und Wand.

Die Wand war von der tragenden Funktion befreit, und die Konstruktion machte sich vom Grundriss unabhängig. Sie wurde zum inneren tektonischen Prinzip. Die sich von der klassizistischen Außenhaut und Raumaufteilung des Gebäudes subversiv emanzipierende Konstruktion nennt Walter Benjamin1 das Unterbewusstsein der Architektur des 19. Jahrhunderts, das sich erst im 20. Jahrhundert Bahn brach und zum sichtbaren Programm der Moderne wurde.

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Iron Bridge bei Coalbrookdale, 1779. Bild: Nilfanion / CC-BY-SA-4.0

Los ging es 1775-79 mit dem Bau der Coalbrookdale-Brücke über den Severn. Coalbrookdale war eine Keimzelle der Industrialisierung. Mit dem Namen sind auch die ersten Eisenschienen und die Entwicklung der Dampfmaschine verbunden. Die Bogenbrücke hatte - und hat noch - eine Spannweite von 30 m. Die nächstfolgende Gusseisenbrücke überspannte bereits 72 m.

Diese kühnen Sprünge des Fortschritts überraschten die Architekten, waren aus ihrer Sicht die Brücken doch von Baudilettanten entworfen, die nichts von Kunst verstanden. Die Konstruktion als solche wird Gestalt, und diese wird als schön empfunden. Die Architektur wurde vom Thron der Ästhetik gestoßen, um sie aus dem Geist der Ingenieurbaukunst zu erneuern. Die nüchtern berechnete Funktion von Tragegerüsten, aber auch von Produktionsmitteln wie Maschinen wurde nicht nur zur Generalform des Bauens, sondern zur Substanz von Kultur und Gesellschaft. Die Architekten liefen Gefahr, zu Dekorateuren zu verkommen. Die Reibereien zwischen beiden Berufsgruppen wirken bis heute nach.

Die Menschheit wird eine völlig neue Art von Architektur hervorbringen, sobald die von der Industrie geschaffenen Methoden angewandt werden. Die Verwendung von Eisen erlaubt, ja erzwingt viele neue Formen, die man bei Bahnhöfen, Hängebrücken und den Wölbungen von Treibhäusern sehen kann.

Théophile Gautier

Nachdem bereits im 18. Jahrhundert Versuche mit Guss- und Schmiedeeisen bei Dachstühlen gemacht worden waren, etwa beim Théatre Francais 1786, gab die Entwicklung größerer Glasscheiben dem Gewächshausbau ab den 1820er Jahren einen Schub. Heute noch stehen die Gewächshäuser des Pariser Jardin des Plantes mit ihren eisernen Rahmenständerwerken (1833). Größere Spannweiten spielten auch bei Gewächshäusern eine Rolle, denn der Lichteinfall von oben ist den Pflanzen zuträglich, besonders wenn die Kuppeln gewölbt sind und das Sonnenlicht möglichst lange senkrecht auf die Außenhaut fällt.

Royal Botanic Gardens (Kew), Palmenhaus, London 1844-48. Bild: Kohlmaier + Sartory/Archiv

Der 560 m lange Crystal Palace wurde 1851 im Londoner Hyde-Park errichtet. Der Erbauer, Joseph Paxton, war Gärtner. Er hatte sich autodidaktisch in den Gewächshausbau eingearbeitet. Nun aber beherbergte der Komplex die erste große Weltausstellung. Mischnutzungen waren jedoch einkalkuliert. Der Crystal Palace war ein transitorisches Bauwerk. Die eisernen Teile, voran die 3.300 Säulen, waren vorgefertigt und auf der Baustelle montiert worden. Ebenso leicht ließen sie sich abbauen, was dann 1854 geschah, um den Glaspalast weiter draußen wieder aufzubauen. Im Ideenwettbewerb zur Umsetzung und Umnutzung hatte C. Burton sogar ein Turmprojekt von 1000 Fuß vorgeschlagen und damit dem Hochausbau vorgegriffen. Er hatte das Prinzip der eisernen Säule erkannt: die Reihung übereinander in unendlicher Vertikale.

Eingangsportal Palmenhaus, Kew Gard. Bild: Kohlmaier + Sartory/Archiv

Die Säulen waren im Raster aufgestellt. Die Konstruktion bestand aus einem freitragenden Skelett. Etliche Bestandsbäume wurden integriert. Paxton machte die damals größtmögliche Glaslänge von 1,22 m und Breite von 30,5 cm zur Grundlage der Maßeinheit des ganzen Bauwerks.2 Erst die intermittierenden Sprossen machen den Lichteinfall atmosphärisch wahrnehmbar. Der Blick von außen auf Natur- oder Industrie-Environments und der Blick von innen auf die umgebende Landschaft sind durch geometrische Netzstrukturen gefasst, und gleichzeitig sind Innen- und Außenwelt transparent, nicht an einen Ort zu fixieren. Die künstliche Illusion rückt diese Pavillons in die Nähe von Panoramen.