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Rohingya in Bangladesch: Flucht und Vertreibung

Foto: Florian Lang

Muslime auf der Flucht Albtraum Burma

Mindestens 70.000 muslimische Rohingya sind vor Burmas Militär nach Bangladesch geflohen. Menschenrechtler sprechen von Genozid, Regierungsvertreter von "kleineren Vorfällen". Ein Besuch auf beiden Seiten der Grenze.

Sie beten auf Teppichen aus Plastiktüten, leben zusammengepfercht in endlosen Reihen überschwemmter Lehmhütten und schätzen sich glücklich, wenn sie einmal am Tag Reis zu essen bekommen. "Alles ist besser, als zurück nach Burma zu gehen", sagt Noor. "Das Militär behandelt uns wie Vieh, wir sind nichts als Ameisen."

Der 37-Jährige gehört der Minderheit der Rohingya an. Er ist aus Burma geflohen, weil eine Militäroperation in einer monatelangen Hetzjagd auf die verhasste muslimische Volksgruppe endete. Noor wurde zwei Mal von Gewehrkugeln im Unterschenkel getroffen. Das war im Oktober. Die Wunde eitert immer noch. Er kann sich nur mit Krücken über die erdigen Hügel des Lagers in Bangladesch schleppen, in dem er seit mehr als einem halben Jahr mit seiner Frau und den drei Kindern lebt.

Die Menschen in den Lagern von Cox's Bazar sind nicht nur Flüchtlinge. Sie sind noch dazu staatenlos. Während Noors Großeltern noch burmesische Staatsbürger waren, hat er selbst in seiner Heimat keine Rechte mehr. Die Behörden nahmen den Rohingya nach und nach ihre Ausweisdokumente ab.

Vor fünf Jahren eskalierte die Gewalt. Buddhisten und Muslime gingen aufeinander los, fast zweihundert Menschen wurden getötet. Die Rohingya müssen seither in Dörfern und Lagern ausharren, die sie nicht ohne Weiteres verlassen dürfen. Viele Muslime sind deshalb arbeitslos, können weder Schulen noch Krankenhäuser besuchen.

Ein Großteil der burmesischen Bevölkerung will von der Diskriminierung der Rohingya nichts wissen. Sie sind als Schmarotzer und Unruhestifter verpönt, die aus Bangladesch gekommen seien. Deshalb sollen sie dorthin auch wieder zurückkehren.

Mehr als 70.000 der etwa eine Million Rohingya im Westen Burmas sind nach Schätzungen der Internationalen Organisation für Migration seit Beginn der Militäroperation im Oktober ins Nachbarland geflüchtet. Auf Booten und Plastikkanistern überquerten sie den Grenzfluss Naf. Bangladesch hat sie nicht abgewiesen.

"Wir können es diesen Menschen, die noch dazu unsere Glaubensbrüder sind, doch nicht auch noch schwer machen", sagt Imran, ein Fischerjunge, der in einer Hütte am Fluss lebt. Bis zu 150 Menschen pro Tag hat er über die Grenze kommen sehen. Die Grenzpolizei wies ihn an, nichts gegen sie zu unternehmen.

Die Regierung von Bangladesch scheint hin- und hergerissen und setzt letztlich vor allem auf Abschreckung. Man lässt die Flüchtlinge zwar ins Land, droht aber gleichzeitig damit, sie auf einer unwirtlichen Insel im Golf von Bengalen anzusiedeln. Hilfsorganisationen erzählen hinter vorgehaltener Hand, dass sie nur arbeiten dürfen, wenn sie möglichst unsichtbar operieren.

Grenzgebiet zwischen Burma und Bangladesch

Grenzgebiet zwischen Burma und Bangladesch

Foto: SPIEGEL ONLINE

Noor ist dankbar, in Bangladesch zu sein. "In Burma schlugen Soldaten meine Kinder mit Gewehrläufen", sagt er und zielt mit dem Unterarm auf den Hinterkopf seiner zweijährigen Tochter. Ihr muss noch Schlimmeres widerfahren sein.

Seit jenem frühen Morgen im Oktober, an dem die Soldaten in Noors Dorf einfielen, kann das Kind nicht mehr laufen, ohne dass jemand sie an den Ärmchen hält. Weil sie seitdem auch schlecht schläft, trägt sie wie viele andere Kinder im Lager eine kleine Kapsel mit Koran-Suren um den Hals. "Um die bösen Geister zu vertreiben", sagt der Imam.

"Woher nehmen diese Menschen sich das Recht, uns so zu behandeln?"

Geschichten wie die von Noor und seiner Familie hört man in den Lagern in jeder der Zehntausenden Hütten. Frauen wurden gedemütigt, begrapscht, vergewaltigt, oft von mehreren Soldaten und vor den Augen ihrer Familie. Männer wurden bedroht, geschlagen und umgebracht. Soldaten beschlagnahmten Vieh und verwüsteten Reisfelder.

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Rohingya in Bangladesch: Flucht und Vertreibung

Foto: Florian Lang

Dass sich die Situation der Rohingya nach dem Ende der Militärdiktatur in Burma derart verschlechtern würde, damit haben auch die pessimistischsten Beobachter nicht gerechnet. Und das, obwohl Burma seit mehr als einem Jahr von einer Friedensnobelpreisträgerin regiert wird.

Burma verbittet sich jegliche Einmischung aus dem Ausland

Nachdem Menschenrechtsgruppen Aung San Suu Kyis Demokratiebewegung jahrzehntelang unterstützt hatten, ist die anfängliche Entgeisterung inzwischen harscher Kritik gewichen. Adilur Rahman Khan, Direktor der Menschenrechtsorganisation Odhikar in Bangladesch geht besonders weit: "Wir haben es mit einem Genozid zu tun, und Aung San Suu Kyi trägt eine Mitschuld."

Burmas Regierung spielt die Vorwürfe herunter, bezeichnet Berichte der Uno als "nicht belastbar" und verbittet sich jegliche Einmischung aus dem Ausland. Eine Untersuchungskommission der Uno wurde jüngst abgewiesen. Die Aussöhnung mit dem Militär soll offenbar um keinen Preis gefährdet werden.

In Burmas Westen harren in der Zwischenzeit weiter Hunderte Rohingya, darunter auch Minderjährige, in den Gefängnissen aus. Die Jagd auf sie begann, als im Oktober eine Gruppe muslimischer Angreifer neun Grenzschutzpolizisten tötete. Ob die Gruppe, wie von der Regierung behauptet, Verbindungen zu Terrororganisationen im Ausland hatte, ist weiter unklar.

Noor weiß von all dem nichts. Ihn plagen im Moment andere Sorgen. Das Ersparte seines Bruders, der ihm Geld für die Flucht gegeben hatte, ist bald aufgebraucht. Er kann die Miete für seine Hütte nicht mehr bezahlen. "Wenn uns niemand aufnimmt, müssen wir zurück in den Stall, in dem wir uns versteckten, als wir hier ankamen", sagt Noor.

Er weiß nicht, wie er aus dieser Misere jemals herauskommen soll. Keiner weiß es.

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