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Europäische Zentralbank Warum wir noch lange auf Zinsen warten müssen

Freude an den Aktienmärkten, Enttäuschung bei deutschen Sparern: EZB-Präsident Mario Draghi verschiebt das Ende der Minizinsen weit in die Zukunft. Warum dauert das so lange? Die wichtigsten Antworten.
EZB-Präsident Draghi

EZB-Präsident Draghi

Foto: Michael Probst/ AP

Für viele Deutsche scheint es zum Verzweifeln: Die Wirtschaft brummt, die Aktienkurse sind so hoch wie nie - doch die Europäische Zentralbank (EZB) denkt offenbar gar nicht daran, den Sparern das wiederzugeben, was sie so dringend möchten: Zinsen. Da hilft es auch nichts, dass der Präsident des Ifo-Instituts, Clements Fuest, am Donnerstagmorgen noch vor den Folgen der Geldschwemme warnt. EZB-Chef Mario Draghi bleibt hart: "Wir müssen geduldig sein", sagte er bei der Pressekonferenz nach der Sitzung des EZB-Rats am Donnerstag. Irgendwann werde man die Zinsen schon wieder anheben. Nur wann?

Seit zweieinhalb Jahren fährt die Zentralbank eine ultralockere Geldpolitik: Der Leitzins liegt mittlerweile bei null, zudem kauft die EZB jeden Monat Anleihen auf - insgesamt schon rund zwei Billionen Euro. Doch zuletzt hatte es Anzeichen für eine baldige Wende gegeben. Sogar Draghi selbst hatte durch zuversichtliche Äußerungen zur Wirtschaftslage den Sparern Anlass zur Hoffnung gegeben. Doch nun scheint diese wieder gedämpft.

Was spricht für steigende Zinsen?

Vieles. Die Wirtschaft in der Eurozone läuft wieder besser, die Unternehmen kommen leichter an Kredite und die Preise steigen. Die Inflationsrate in der Eurozone liegt bereits seit Dezember wieder stetig über einem Prozent (siehe Grafik).

Das deutet darauf hin, dass die Ultraniedrigzinspolitik der EZB wirkt - und bald vielleicht nicht mehr benötigt wird. Die Zielmarke der Währungshüter für die Inflation liegt jedenfalls bei knapp unter zwei Prozent. Hier sehen sie stabile Preise bei einer wachsenden Wirtschaft gewährleistet. Wenn absehbar ist, dass dieser Wert auf mittlere Sicht erreicht wird, muss die EZB die Zinsen wieder normalisieren, um zu verhindern, dass die Inflation so hoch steigt.

Warum geht es trotzdem so langsam?

EZB-Präsident Draghi muss aufpassen, dass er die Finanzmärkte nach jahrelangen Niedrigzinsen nicht mit einer schnellen Kehrtwende durcheinanderwirbelt. Deshalb bereitet er die Wende sehr vorsichtig vor - für den Geschmack einiger Experten zu vorsichtig.

Klar ist: Die Investoren achten auf jedes Wort, das Draghi sagt. Klingt es zu sehr nach schneller Wende, kann es zu panikartigen Verkaufsbewegungen an den Finanzmärkten kommen. Doch das ist nicht Draghis einzige Sorge. Tatsächlich betrachten er und viele seiner Kollegen im EZB-Rat die wirtschaftliche Entwicklung in der Eurozone noch nicht als stabil genug. Zwar befindet sich die Wirtschaft eindeutig im Aufschwung - in Ländern wie Deutschland läuft sie sogar auf Hochtouren - doch selbst hierzulande schlägt sich das bisher nur bedingt in steigenden Preisen nieder. Zuletzt war die Inflation sogar wieder etwas gesunken.

"Die Inflation ist nicht da, wo wir sie haben wollen", sagte Draghi am Donnerstag. Man sei zuversichtlich, dass sie dort hinkomme, aber "sie ist es eben noch nicht." Und solange das so bleibt, wird sich auch die EZB nur sehr langsam bewegen.

Wann werden die Zinsen wieder steigen?

Bis sich wirklich etwas an der Politik der EZB ändert, kann es noch dauern. EZB-Chef Draghi deutete an, dass man im Herbst Entscheidungen treffen werde. Die meisten Experten rechnen damit, dass er nach der EZB-Sitzung im September oder spätestens im Oktober ankündigt, die monatlichen Ankäufe von Staatsanleihen ab Januar 2018 Schritt für Schritt zurückzufahren. Bisher kauft die EZB über die nationalen Notenbanken der Eurozone jeden Monat Anleihen im Wert von 60 Milliarden Euro an den Finanzmärkten auf. Durch diese zusätzliche Nachfrage drückt sie erstens das langfristige Zinsniveau am Anleihenmarkt und pumpt zweitens sehr viel Geld in die Finanzmärkte. Beides belebt die Wirtschaft.

Die Experten der Schweizer Bank UBS erwarten, dass die EZB die Anleihekäufe bis spätestens zum Herbst 2018 auf null zurückfahren wird - wenn die Wirtschafts- und Inflationsdaten sich weiter entsprechend positiv entwickeln. Erst danach, wohl ab 2019, würden die Währungshüter auch die Leitzinsen wieder anheben - und auch das nur Schritt für Schritt.

Zuerst würde wohl der sogenannte Einlagensatz wieder steigen, zu dem Banken und Sparkassen Geld bei der EZB parken können. Die Zentralbank hatte den Satz in der Krise auf unter null gesenkt (siehe Grafik) - was faktisch einen Strafzins für all jene Banken bedeutet, die zu viel Geld horten. So wollte die EZB die Finanzinstitute dazu bringen, das Geld lieber als Kredit an Unternehmen oder Verbraucher weiterzugeben. Derzeit liegt der Einlagenzinssatz bei minus 0,4 Prozent. Im Zuge einer Normalisierung könnte er in den kommenden zwei Jahren zumindest auf null Prozent erhöht werden.

Bei null verharrt seit März 2016 auch der wichtigste Leitzins der Eurozone, der Hauptrefinanzierungssatz, zu dem sich die Geschäftsbanken kurzfristig Geld bei der Zentralbank leihen können. Zum Vergleich: Zu Beginn der Finanzkrise im Jahr 2007 lag dieser Satz noch bei vier Prozent.

Was heißt das für die Geldanlage?

Immerhin, ein bisschen was hat sich schon getan - und zwar allein schon durch Draghis optimistische Äußerungen Ende Juni. Seitdem sind die Zinsen an den Finanzmärkten deutlich nach oben gesprungen. Für deutsche Bundesanleihen mit zehnjähriger Laufzeit bekommen Anleger erstmals seit Januar 2016 wieder eine Rendite von mehr als 0,5 Prozent. Vor einem Jahr lag diese Rendite noch im Minusbereich (siehe Grafik).

All das deutet darauf hin, dass die Investoren eine Wende in der Geldpolitik erwarten - wenn auch eine langsame. Das bedeutet zum einen, dass Zinsprodukte wie Tages- oder Festgeld zumindest wieder ein bisschen mehr Geld abwerfen und Aktien im Gegenzug etwas unattraktiver werden. Ob das allerdings ausreicht, um langfristig wieder auf klassische Sparprodukte zu setzen, ist fraglich. So lange sich die Zinsen nicht deutlich erhöhen, dürften Aktien weiter die bessere Anlage sein.

Werden Immobilienkredite jetzt teurer?

Ja, aber auch das geschieht nur sehr langsam. Wer derzeit einen Kredit mit einer Zinsbindung von 15 Jahren aufnimmt, zahlt laut dem Finanzportal FMH im Schnitt knapp zwei Prozent Zinsen pro Jahr. Im Juli 2016 war es noch 1,56 Prozent. Was ein solcher Unterschied ausmacht, zeigt eine Beispielrechnung: Wer sich 200.000 Euro zu einem Zinssatz von zwei Prozent über 15 Jahre leiht, zahlt insgesamt 31.663 Euro Zinsen. Bei einem Zinssatz von 1,5 Prozent sind dagegen über die gesamte Laufzeit nur 23.467 Euro an Zinsen fällig. Ein Unterschied von mehr als 8000 Euro also.

Noch deutlicher würde der Effekt, wenn die Zinsen für Immobilienkredite wieder auf alte Höhen steigen würden. Für die gleichen 200.000 Euro Kreditbetrag würden dann nämlich satte 84.685 Euro Zinsen fällig - ein gewaltiger Unterschied, der beim Immobilienkauf mit berechnet werden muss.