Amri-Komplex: Polizei darf Vertuschungen der Polizei untersuchen

Das beschädigte Führerhaus der Sattelzugmaschine auf dem Breitscheidplatz. Bild: Emilio Esbardo/CC BY-SA-4.0

Erst danach soll in Berlin ein Untersuchungsausschuss eingesetzt werden

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Binnen einer Woche überschlugen sich in Berlin im Fall Amri geradezu die Ereignisse: Zunächst ein Sonderermittler, der sich behindert fühlt, weil er von der Staatsanwaltschaft nicht alle Ermittlungsakten erhält. Dann ein Innensenator, der von Vertuschung durch die Polizei spricht und Strafanzeige erstattet. Schließlich weitere Hinweise auf Kaschierungen von Namen im Umfeld des Täters.

Wie beim NSU ist der Terroranschlag vom Breitscheidplatz in Berlin am 19. Dezember 2016, verbunden mit dem Namen des mutmaßlichen Attentäters Anis Amri, längst eine Staatsaffäre. Die Fragen zu diesem Fall, der zwölf Unschuldige das Leben kostete und über 60 Menschen schwer verletzte, richten sich vordringlich an die Sicherheitsbehörden und die politisch Verantwortlichen.

In einer Sondersitzung des Innenausschusses ließen sich die Abgeordneten am Montag durch den Senator und den Polizeipräsidenten über den Stand der Erkenntnisse unterrichten. Die Nachricht des Tages war dann: In Berlin wird, wie bereits in Nordrhein-Westfalen geschehen, ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss kommen. Zunächst jedoch darf die Polizei mittels einer Task Force selber die Vertuschungen in ihren Reihen untersuchen.

Die Entwicklungen seit Mitte letzter Woche hatten in der Öffentlichkeit für "Entsetzen" (Berliner Zeitung) gesorgt. Immer noch steckt die Republik mitten im NSU-Sumpf und da wird bereits die nächste monströse Verstrickung der Sicherheitsbehörden in einen Terroranschlag sichtbar. Aktuell: die Unterdrückung von Erkenntnissen der Ermittler.

Manipulation der Ermittlungsergebnisse

Anis Amri, tunesischer Flüchtling, der im Frühjahr 2016 von Nordrhein Westfalen (NRW) nach Berlin kam, soll an "gewerbsmäßigem", ja, "bandenmäßigem" Drogenhandel (so Sonderermittler Bruno Jost) beteiligt gewesen sein. Von Relevanz ist das auch, weil es nicht in das Bild des religiös fundamentalistischen Attentäters passt.

Grundlage der Erkenntnisse des Landeskriminalamtes (LKA), die zwölf Seiten umfassen sollen, waren 73 abgehörte Telefonate. Amri agierte gemeinsam mit zwei Tätern (Polizeipräsident Klaus Kandt). Der Vermerk ist vom Oktober 2016. Doch im Januar 2017, nach dem Anschlag, veränderten die Ermittler den Vermerk, "schwächten ihn inhaltlich und sprachlich ab" (Sonderermittler Jost) und datierten ihn auf den 1. November 2016 zurück. Darin ist nur noch von "möglicherweise Kleinsthandel von Drogen" (Polizeipräsident Kandt) die Rede.

Grundlage des veränderten Vermerkes, der nur zwei Seiten umfasst, sollen lediglich sechs abgehörte Telefongespräche (Sonderermittler Jost) gewesen sein. Auch dass Amri mit zwei Tätern zusammenarbeitete, wurde in dem neuen, kurzen Vermerk nicht erwähnt (Polizeipräsident Kandt). Warum? Was hat es mit den zwei anderen Tätern auf sich?

Wie die beiden Vermerke zustande kamen, ist bisher nicht geklärt. Dem wollte der Sonderermittler Jost erst noch nachgehen. Auch die Abhörprotokolle der insgesamt 73 Telefongespräche Amris sind bisher nicht überprüft und ausgewertet.

Zu den ungeklärten Fragen steuerte auch Innensenator Andreas Geisel (SPD) persönlich welche bei: "Warum wurde der Vermerk auf den 1. November 2016 zurückdatiert? Warum wurde der Bezug auf andere handelnden Personen herausgenommen?" Fragen, auf deren Beantwortung er "selber gespannt" sei, so Geisel. Warum seine Innenverwaltung aber, obwohl so vieles noch nicht geklärt ist, gleichzeitig davon ausgeht, dass es sich bei den bekannt gewordenen Manipulationen um "individuelles Fehlverhalten Einzelner" (so Staatssekretär Torsten Akmann) innerhalb der Polizei gehandelt habe, passt nicht so recht zum demonstrierten Aufklärungswillen. Gefragt haben ihn das die Abgeordneten nicht. Geisel selber verschwand nach der Sitzung wortlos.

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