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Grüne in Personalnöten Ein Frauenproblem. Ausgerechnet.

Niemand hat so viel für Gleichberechtigung und Frauenförderung getan wie die Grünen. Trotzdem bietet die Partei wenig wirkliches weibliches Spitzenpersonal. Wie kann das sein?
Spitzengrüne Peter, Göring-Eckardt: Männer dominieren die Debatten

Spitzengrüne Peter, Göring-Eckardt: Männer dominieren die Debatten

Foto: Hans Christian Plambeck/ Laif

Da ist sie wieder, diese Frage, die Katrin Göring-Eckardt nicht leiden kann. Eine Frau aus dem Publikum hat sie gestellt, es geht darum, dass dort oben auf der Bühne drei Männer stehen. Und nur eine Frau. Göring-Eckardt senkt den Blick, sie steht ganz still.

Es ist der vergangene Samstag, die Grünen haben in Berlin zum Urwahlforum geladen, hier stellen sich die vor, die den Bundestagswahlkampf der Partei anführen wollen. Einen Mann und eine Frau wird die Basis wählen, so will es das Prinzip der grünen Doppelspitze. Nur: Die Spitzenfrau ist bereits gesetzt, Katrin Göring-Eckardt tritt ohne Gegenkandidatin an.

Also diese Frage, mal wieder: "Was willst du unternehmen, um mehr Frauen für eine Spitzenkandidatur zu begeistern?" Beim nächsten Mal, so die Frau aus dem Publikum, solle es eine "größere Auswahl" an Frauen geben.

Göring-Eckardt räuspert sich, dann sagt sie, dass sie sich das "nicht gewünscht" und niemanden unter Druck gesetzt habe, nicht zu kandidieren. Konsequenzen? Hält sie nicht für nötig: "Ich glaube, dass wir nicht mehr über Frauenförderung reden müssen auf dieser Ebene", sagt sie, "wir haben ziemlich viele ziemlich gute Frauen in unserem Laden." Doch wo sind sie, diese Frauen?

Gegen Göring-Eckardt wollte keine kandidieren. Und bei der letzten Wahl der Parteivorsitzenden fand sich nur eine Außenseiterin, die gegen Simone Peter antrat. Bis heute ist außerdem unklar, wer Peter beim nächsten Parteitag ablösen könnte. Die Parteichefin ist unbeliebt wie nie, die Chance, gegen sie zu gewinnen, groß. Trotzdem bringt sich bisher keine Frau in Stellung.

Ein Frauenproblem also. Bei den Grünen. Ausgerechnet.

Keine andere Partei hat so viel für Frauenförderung getan wie die Grünen. Schon seit 30 Jahren gilt das "Frauenstatut", in dem eine 50-Prozent-Quote, ein Frauenrat, eine Art eigener Parteitag für Frauen sowie allerlei weitere Vehikel der Gleichberechtigung festgeschrieben sind. Bei Versammlungen ist die Rednerliste quotiert, das gilt auch für die Fraktionssitzung. Sogar beim Urwahlforum in Berlin waren die Publikumsfragen gegendert, es gab zwei Boxen, aus denen abwechselnd gezogen wurde - eine für Frauen und eine für alle.

Tatsächlich haben die Grünen mehr Wählerinnen als Wähler. In keiner anderen Partei ist der Anteil der Frauen bei den Mitgliedern größer. Durch die Quoten sind alle Posten geschlechtergerecht aufgeteilt, bis in die Partei- und Fraktionsspitze. 34 der 63 Bundestagsabgeordneten sind weiblich, das sind 54 Prozent.

Doch nicht in allen Bereichen hat das etwas verändert, die Themenaufteilung ist oft klassisch. Um Familienpolitik kümmern sich fast nur die Parlamentarierinnen, von elf Mitgliedern im Arbeitskreis sind neun Frauen. Die beiden Männer sind für Forschungs- beziehungsweise Drogenpolitik zuständig. Im Arbeitskreis Außenpolitik sitzen dagegen sieben Männer und nur drei Frauen.

In der Öffentlichkeit ist das weibliche Spitzenpersonal der Grünen deutlich weniger bekannt als die Männer, am ehesten kennt man die Älteren wie Claudia Roth und Renate Künast, die schon seit Jahrzehnten dabei sind. Fraktionschefin Göring-Eckardt schaffte es vergangenes Jahr zwar einmal unter die 20 beliebtesten Politiker (Platz 19), doch 33 Prozent der Befragten kannten sie nicht.

Der Kampf um Einfluss und Inhalte wird bei den Grünen unter Männern ausgetragen. Sie sind die, die präsent sind: ob Winfried Kretschmann, der Ministerpräsident aus Baden-Württemberg, oder Jürgen Trittin, der eigentlich nur noch einfacher Abgeordneter ist, oder Boris Palmer, Bürgermeister der mittelgroßen Stadt Tübingen. Sie dominieren die Debatten der Bundespartei, sowohl intern als auch öffentlich, mal inhaltlich, mal mit ihren Machtkämpfen. Den Frauen gelingt das nicht.

Warum nur? Liegt es an den Frauen? Sind sie weniger machtbewusst als die Männer? Oder gibt es ein Problem bei den Grünen, hat sich hinter der Fassade von Quoten und formaler Frauenförderung eine frauenfeindliche Kultur erhalten?

Eine Suche nach den Gründen.

Für Katrin Göring-Eckardt ist die Sache klar: Die Frauen sind selbst schuld. Sie sind einfach zu ängstlich. Es sei wichtig, dass "wir es schaffen, dass Frauen sich trauen", sagt sie beim Urwahlforum auf offener Bühne. Sie selbst "habe ja letztes Mal die Konkurrenz auch nicht gescheut". Gegen "zwei starke Frauen" sei sie angetreten, Roth und Künast. "Mir fällt eine lange Liste von Frauen in der Fraktion ein, denen ich immer sage: Frauen, traut euch, macht das jetzt, geht nach vorne, ihr könnt das."

Nach wie vor funktionieren die Netzwerke der Männer viel besser als die der Frauen.

Die jüngeren Frauen, die für einen herausgehobenen Posten in Fraktion und Partei infrage kommen, lassen ihre Zurückhaltung als Taktik erscheinen. "Für mich ist es noch nicht relevant anzutreten", sagt eine, der viele eine große Karriere zutrauen. Sie sei jung, habe Zeit, wolle "nicht verheizt werden". Eine andere hat kleine Kinder, da passe eine Kandidatur nicht "in den familiären Zeitplan". Und eine dritte erzählt, dass es mit Katrin Göring-Eckardt ja schon "ein gutes Angebot" gebe. Da müsse sie sich die Belastung nicht antun.

Zu früh, zu stressig, das klingt tatsächlich nicht nach dem nötigen Machtwillen für politische Spitzenämter. "Das Zaudern der jungen grünen Frauen ist ein Problem", sagt Krista Sager, die die Partei zwei Jahre lang führte und später drei Jahre Fraktionsvorsitzende war. Die junge Frauenriege bei den Grünen ticke anders als die alte. "Bei den Älteren ging es nie um weniger als die Rettung der Welt." Die Risikobereitschaft sei deswegen viel größer gewesen, so Sager. Und Spitzenposten würden einem nicht auf dem Silbertablett präsentiert, die müsse man sich schon erkämpfen.

Die Grünen sind nicht frei von Männerkumpanei, von Sexismus, auch das wird klar bei dieser Suche nach den Gründen.

Grüne Politikerinnen jeden Alters berichten, dass es in ihrer Partei zwar besser sei als in anderen, aber noch lange nicht gut. Hübsche blonde Frauen bekämen mehr Aufmerksamkeit als andere. Abgeordnete bekommen zu hören: "Ich geb dir mal 'nen Ratschlag, sei nicht so verbissen." Wenn sie häufig Infomaterial oder Redezeit beantragen, sagen ihnen Kollegen, dass sie "überambitioniert" und "karrieregeil" seien, während ihre männlichen Altersgenossen nur als ehrgeizig gelten. Ein paar der Frauen treffen sich alle zwei Sitzungswochen, um sich darüber "auszukotzen und abzureagieren".

Was bei Männern noch recht niedlich Hahnenkampf genannt wird, ist bei Frauen direkt der Zickenkrieg. Den stolzen Tieren mit wichtiger Weckfunktion, die kämpfen, stehen meckernde Weibchen gegenüber, im Krieg. Aus Angst vor dem Vorwurf des "Zickenkriegs" schlossen Göring-Eckardt, Künast und Roth bei der Urwahl 2013 gar einen Pakt. Sie versprachen sich, nicht zu aggressiv gegeneinander Wahlkampf zu führen, damit der Begriff gar nicht erst aufkommen konnte. Offen angesprochen haben sie das Thema damals nicht.

"Männer und Frauen kommunizieren anders, auch bei den Grünen", sagt Renate Künast, 61, Exbundesministerin und acht Jahre lang Fraktionsvorsitzende. Als Beispiel schildert sie dann eine Szene aus dem Parteirat, die ihr bei dem Thema immer einfällt. "Sagt mal, müssten wir nicht erst einmal folgende zwei Fragen klären?", fragte Künast damals. Von den Anwesenden kam keine Reaktion. Kurze Zeit später redete Jürgen Trittin, "sagte fast das Gleiche wie ich, aber in einem anderen Duktus". Der habe keine Frage gestellt, sondern klar heraus gesagt: "Ich sage, wir klären jetzt zwei Dinge vorab: erstens, zweitens." Künast drückt den Rücken durch und reißt die Augen auf: "Bei einigen hat man schon die Hacken unten zusammenschlagen hören", witzelt sie. Sie habe versucht, Trittins Art der Kommunikation zu kopieren - ohne Erfolg. "Das passt nicht zu mir."

Nach wie vor funktionieren die Netzwerke der Männer viel besser als die der Frauen. "Männer haben eher andere Männer auf dem Zettel", sagt Krista Sager. Die Frauen sind dagegen immer noch Einzelkämpferinnen. Göring-Eckardt etwa behauptet, dass sie jüngeren Kolleginnen häufig Anfragen für Talkshows oder Interviews weiterleitet, doch die sagen, das wäre ihnen neu. Im Gegenteil: Anfragen, die bei der Pressestelle für die Jungen eingingen, würden stattdessen von Göring-Eckardt beantwortet. Auch Bärbel Höhn, Vorsitzende des Umweltausschusses, teilt sich das Scheinwerferlicht anscheinend nicht gern. Fraktionsmitarbeiter berichten, wie sie mit jungen Kolleginnen, die ihr Themenfeld bearbeiten, um jeden Auftritt konkurriert. Dabei wird Höhn nicht einmal mehr für den Bundestag antreten.

Bei den Männern ist das anders: "Es gibt langjährige Männernetzwerke, die gut funktionieren, auch flügelübergreifend", attestiert die grüne Abgeordnete Annalena Baerbock. Reinhard Bütikofer etwa, Exparteichef und EU-Abgeordneter, hat sich über Jahre ein paar mächtige Männer "rangezüchtet", wie grüne Frauen neidvoll anerkennen: Cem Özdemir, Robert Habeck, Tarek Al-Wazir und Gerhard Schick gehören dazu, sie alle haben nun einflussreiche Posten. Steht einer der Männer in der Kritik, helfen die anderen aus.

Die grünen Männer wollen denn auch kein Frauenproblem in ihrer Partei sehen: "In dieser Partei? Mit all ihren Quoten?", schnauft einer entrüstet. Die Frauen hätten doch die Hälfte der Posten, das müsse reichen, sagt ein anderer. Fragt man Jürgen Trittin, ob Frauen bei den Grünen wirklich gleichberechtigt sind, überlegt er lange. Dann: "Ich glaube, wir sind besser als die anderen, aber wir sind noch lange nicht gleichberechtigt." In 13 Landtagsfraktionen sei die Doppelspitze abgeschafft worden, 9 davon führten nun Männer.

Claudia Roth sieht aus ganz anderen Gründen schwierige Zeiten für ihre Kolleginnen: "Was grünen Frauen an sexualisiertem Hass entgegenschlägt, ist schlimm", sagt sie. Man werde anders beleidigt, "man ist nicht nur dumm, wie die Männer, sondern auch hässlich, fett, soll vergewaltigt werden und so weiter und so fort". Das müsse man erst einmal aushalten können.

Gerade die Frauen mit Kindern warteten auch deswegen in zweiter Reihe, sagen sie. Zumindest, bis die Kinder größer seien. Danach hätten sie mehr Energie, um das besser zu ertragen. Und die Ellenbogen wieder auszufahren, um sich einen Platz neben den Männern zu erkämpfen. Roth ist optimistisch: "Sie werden sich in Zukunft sicher trauen."

Nach wie vor funktionieren die Netzwerke der Männer viel besser als die der Frauen.