Zum Inhalt springen

Weihnachtsenten ...schwimmen nicht im See

Für Weihnachten läuft die Entenproduktion auf Hochtouren. Damit der Braten günstig auf den Tisch kommt, werden die Tiere unter erbärmlichen Umständen gehalten - und die beteiligten Arbeiter ausgebeutet.
Ente in Mastanlage: Fallen die Tiere auf den Rücken, werden sie oft totgetrampelt oder verdursten

Ente in Mastanlage: Fallen die Tiere auf den Rücken, werden sie oft totgetrampelt oder verdursten

Foto: Timo Stammberger/ Animal Equality

Dies ist eine Tierleidgeschichte, die ausnahmsweise mal mit der geschundenen Kreatur Mensch beginnt. Denn eines haben die Schlachtarbeiter mit den Enten, die sie Tag für Tag töten, aufstechen, rupfen, ausnehmen, zerstückeln, in Plastiktüten einschweißen und tiefgefrieren, gemein:

Die Weihnachtszeit ist furchtbar für sie.

Zu keiner anderen Jahreszeit werden so viele Enten verspeist wie zum Fest der Liebe. Für die Belegschaft des Wiesenhof-Schlachthofs Grimme in Sachsen-Anhalt bedeutet das Wochen vorher Stress pur.

An manchen Tagen schlenkert das Fließband bis zu 40.000 Enten kopfüber an den Arbeitern vorbei, jeder hat ein paar Sekunden, um seine Aufgabe am toten Korpus zu verrichten. Es ist feucht in den Hallen, und der Gestank ist zum Würgen.

Über ein Drittel der deutschen Produktion wird hier gemetzgert, schätzungsweise sieben Millionen Enten pro Jahr. Die Firma "Fläminger Entenspezialitäten", eine Tochter des PHW-Konzerns, betreibt den Schlachthof und macht die Verträge mit den Mästern für die Marke "Wiesenhof".

In den Monaten vor Weihnachten sind Zwölfstundenschichten keine Seltenheit, berichten die Arbeiter, die größtenteils aus Osteuropa stammen. "Es ist eine Plackerei", sagt eine Frau. Sie will ihren Namen nicht geschrieben sehen, sie braucht den Job, hat alle Hoffnung fahren lassen, etwas anderes zu finden. Sie hasst den Job jedes Jahr mehr.

Früher habe sie in guten Monaten über 1300 Euro netto verdient, heute seien es nur noch knapp über 1100 Euro. Das Unternehmen dokumentiert aber, dass die Mitarbeiter heute pro Stunde mehr verdienen als damals; unter anderem werden Nacht- und Wochenendzuschläge weiter bezahlt.

Sie hat kein Fahrrad, kein Auto, sie kommt nicht fort von diesem vermaledeiten Ort. Resigniert zuckt sie mit den Schultern. Meist sie ist ohnehin zu müde, um auszugehen. Den Ausgleich für ihre Überstunden bummelt sie vor dem Fernseher ab. Bares gibt's nur für Mehrarbeit am Wochenende, sagt sie.

In dem abgeschabten Plattenbau neben dem Schlachthof teilen sich acht Polen eine Zweiraumwohnung. Jeder hat eine Matratze und eine Kiste als Ablage. Überall liegen Handtücher, Flaschen, Essensreste.

Es ist neun Uhr morgens, der Trupp kommt gerade von der Arbeit. Seit zwei Uhr haben sie bei einem Wiesenhof-Vertragsmäster Enten ausgestallt. Über 8000 Tiere wurden am Hals gepackt, in Käfige gestopft und auf Lkw verladen. Bei einem Entengewicht von drei Kilogramm haben die Männer in vier Stunden rund 25 Tonnen gestemmt, und das unter ohrenbetäubendem Geschnatter der panischen Tiere. Müde lassen sie sich auf ihre paar Quadratmeter Privatsphäre fallen. Sie wollen nicht sagen, wie viel sie verdienen. Mehr als daheim. Genug, um so zu hausen, um lange Zeit von Frau und Kind getrennt zu sein. Genug, um zu überleben.

Die Schlachthofarbeiter und Ausstaller sind nicht die einzigen menschlichen Kollateralschäden, die die industrielle Entenproduktion mit sich bringt. Auch die Vertragsmäster, die für Wiesenhof oder die Wichmann GmbH arbeiten, können kaum noch von ihrer Hände Arbeit leben.

Es ist eine bestürzende Erkenntnis: Damit eine Ente zum Tiefstpreis von sieben Euro die festliche Weihnachtstafel schmückt, müssen Menschen darben und Tiere unvorstellbare Qualen erdulden. Und wofür? Laut PHW war ihr Entengeschäft in den vergangenen Jahren defizitär. Das Gesamtgeschäft mit Geflügelspezialitäten weist PHW als umsatzstärkstes Geschäftsfeld aus, mit 1,4 Milliarden Euro.

Jürgen Fiebig ist ausgestiegen aus dem, was er ein Ausbeutersystem nennt. Zehn Jahre lang zog er für Wiesenhof und Wichmann Tiere auf, zehn Durchgänge pro Jahr. Und wurde dabei immer ärmer.

Das System führt leicht in die Schuldenfalle. PHW liefert die Küken aus eigenen Brütereibetrieben der Tochter Duck-Tec, ebenso das Futter. Damit hat der Mäster schon mal zwei Rechnungen im Briefkasten, ohne einen Euro eingenommen zu haben. Dann hat er rund 40 Tage, um die Entchen auf Schlachtreife zu bringen. Rund drei Kilo sollen sie wiegen. Werden die Tiere krank, bleibt der Verlust beim Mäster. Gleiches, wenn sie beim Ausstallen verletzt werden oder auf dem Transport sterben. Das ganze Aufzuchtrisiko ist an die Vertragsbauern ausgelagert.

Das Ausmustern für den Verkehr ungeeigneter oder den vertraglichen Ansprüchen Wiesenhof nicht genügender Enten kann der Mäster kaum überprüfen. Einmal brachte Fiebig die eine Hälfte seiner Herde zum Schlachthof Neutrebbin, dort wurden 2,6 Prozent der Tiere beanstandet. Bei der anderen Hälfte, die nach Grimme ging, waren es 13,5 Prozent der Tiere. Fiebig bekam Tausende Euro weniger. "Daran sieht man die Willkür bei der Einstufung", sagt er. PHW sagt, dass sie auf die Entscheidungen der Amtsveterinäre keinerlei Einfluss haben und bei Härtefällen einen Teil des Schadens tragen.

Wenn alles gut geht, verdienen die Mäster im Durchschnitt 50 Cent pro Ente. Da bleibt nicht viel übrig - schon gar nicht für Investitionen in Tierwohl. Auf einem Rundgang durch den Stall eines Wiesenhof-Vertragsmästers erklären Fiebig und sein Kollege die Problematik. 8500 Enten drängen sich wie eine riesige Daunendecke in einer großen Halle. "Wenn man im Sommer eine Ente anfasst, ist die kochend heiß." Trotz Lüftung.

98 Prozent aller Puten, Gänse und Enten werden hierzulande in Massenbetrieben gehalten. Die Tiere laufen meistens auf Stroh, viele bekommen kaum Tageslicht, aber ständig Futter, das mit Lockstoffen versehen ist, damit sie unentwegt fressen. Das führt dazu, dass sie rasend schnell Masse ansetzen. Das Knochengerüst kann das Gewicht kaum tragen, was die Tiere leicht aus der Balance bringt. Fallen sie um, kommen sie nicht wieder hoch. Ohne menschliche Hilfe werden diese sogenannten Rückenlieger von den anderen zertrampelt oder verdursten. Sie sind die Opfer einer Qualzucht.

Aus Langeweile und Stress rupfen sich die Enten schon mal die Federn aus und knabbern sich an. "Enten sollen eigentlich draußen sein, Gras fressen und Steine als Verdauungshilfe, aber auf die Art nehmen sie nicht schnell genug zu", sagt Fiebig.

Den einzigen Kontakt zu Wasser hat das Wassertier meist nur über Nippel oder bestenfalls Trichter. Aus denen können sie trinken, ohne die Einstreu zu durchnässen. Doch zum Putzen des Gefieders, die Haupttätigkeit der Ente, reicht das nicht aus.

Kaum eine Ente, die aus der Systemhaltung stammt, hat je ihre Schwimmfüße auf natürlichen Boden gestellt oder gar in einen See getaucht. Und das, obwohl in den Europarats-Empfehlungen für Entenhaltung steht: "Der Zugang zu einem Auslauf und zu Badewasser ist notwendig, damit die Enten als Wasservögel ihre biologischen Erfordernisse erfüllen können... Die Enten sollten die Möglichkeit haben, mit ihrem Kopf unter Wasser zu tauchen."

PHW sagt, dass 65 Prozent ihrer Farmen und Vertragsbauern diese Regelung umgesetzt haben, in zwölf Monaten sollen es alle sein. Sicher: Den Schnabel ins Wasser strecken zu können ist ein Anfang. Doch vom Schwimmen noch weit entfernt.

Rechtlich verbindliche Haltungsvorschriften gibt es nicht, weder in Deutschland noch in der EU. "Überall dort, wo Bundesminister Christian Schmidt keine Vorgaben zur Haltung macht und der Industrie freie Hand lässt, werden die Bedürfnisse der Tiere oft ignoriert", sagt Leif Koch von der Welttierschutzgesellschaft.

Eigentlich sollte das Tierschutzgesetz genügen, um Missstände zu beenden. Danach darf keinem Tier unnötig Leid zugefügt werden und keine Qualzucht stattfinden. Doch es wird nicht durchgesetzt. Im Gegenteil: Das Landwirtschaftsministerium vergibt regelmäßig sogenannte Ausnahmegenehmigungen, etwa für das Kappen von Hühnerschnäbeln und Schweineschwänzen. Kälbern werden mit Einverständnis der Regierung die Hörner aus dem Kopf gebrannt, Eberferkeln ohne Betäubung die Hoden abgeschnitten. Für Enten, Puten und sogar für die 4,3 Millionen Milchkühe gibt es nicht einmal eine Haltungsverordnung. Jeder darf mit den Tieren machen, was er will.

Seit 23 Jahren dokumentiert Friedrich Mülln von der Organisation Soko Tierschutz die Missstände in deutschen Ställen. Ende der Neunziger bereits filmte er mit versteckter Kamera die Todeskämpfe der Rückenlieger.

Seither habe sich nichts verändert, sagt er. Im April hielt er das Schreddern zappelnder Entenküken in einer PHW-Brüterei fest. Aufnahmen anderer Tierschützer zeigen, wie kranke Enten mit der Mistgabel aufgespießt und mit Holzprügeln erschlagen werden, ebenfalls bei PHW-Zulieferern. Immer wieder klagt Mülln gegen die Täter, doch nicht ein einziges Mal ist ein Halter wegen Verletzung des Tierschutzgesetzes vor Gericht gekommen. Egal, wie grausam die Verstöße auch waren - es gibt allenfalls Bußgelder.

Offenbar sind die einzigen Gesetze, die für tierische Mitkreaturen in Deutschland gelten, die des Marktes.

Marktführer PHW hätte es in der Hand, bessere Haltungsbedingungen einzuführen und mehr Geld vom Verbraucher dafür zu verlangen. Eine nennenswerte inländische Konkurrenz gibt es nicht mehr, seit PHW kürzlich die Hälfte von Wichmann übernommen hat. PHW verweist auf den Preisdruck durch Billigangebote aus dem Ausland.

Immer wird an dieser Stelle aufs Billiglohn-Ausland verwiesen, wohin das Geschäft abwandern würde, gäbe es strengere Vorschriften. Tatsächlich ist das ein Scheinargument.

Friedrich Mülln glaubt, dass nur der Verbraucher über seine Kaufentscheidung bessere Lebensbedingungen der Enten herbeiführen kann. Organisationen wie seine Soko Tierschutz, Peta, Vier Pfoten oder Animal Equality sorgen für die notwendige Aufklärung über die Zustände im Stall. "Die Branche ist schon jetzt in einer Heidenpanik wegen des Vegan-Booms", sagt Mülln.

Jürgen Fiebig hat seinen Geflügelhof umgebaut und hält nun Hühner, Enten sowie Gänse artgerechter, mit Auslauf und Frischfutter. Die Tiere brauchen jetzt dreimal so lange, bis sie das Schlachtgewicht erreichen, doch die Kundschaft bezahlt ihm den Aufwand. Eier und Geflügel verkauft er nun direkt.

Als Vertragsmäster sei er ein gewerblicher Dienstleister gewesen, sagt er. Nun, endlich, fühlt er sich wieder als Bauer.


Aus rechtlichen Gründen wurde dieser Artikel nachträglich bearbeitet.

Mehr lesen über