Süchtig nach Wissenschaft

Reinhard Selten hat 1994 den Ökonomie-Nobelpreis für seine Arbeiten in Spieltheorie erhalten. Die Wissenschaft war für Selten wie ein Droge. Er wurde 85 Jahre alt.

Christoph Eisenring, Berlin
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Prof. Dr. Reinhard Selten, aufgenommen am 9. November 2006. (Bild: Imago)

Prof. Dr. Reinhard Selten, aufgenommen am 9. November 2006. (Bild: Imago)

Das Rampenlicht war Reinhard Selten nicht geheuer. Auch nachdem er 1994 als bisher einziger Deutscher den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Ökonomie erhalten hatte, quittierte er die Ovationen der Studenten nur rasch mit einem Danke und widmete sich dann wieder seiner Vorlesung. Selten hatte den Preis zusammen mit John Nash sowie John Harsanyi für die Weiterentwicklung der Spieltheorie bekommen. Mit dieser werden Konfliktsituationen mathematisch abgebildet, man denke an Staaten im Kalten Krieg oder zwei Anbieter auf einem Markt. Welche Kombination von Strategien werden die Spieler wählen? Für Nash ist eine stabile Situation dann erreicht, wenn keiner der Akteure einen Anreiz hat, von seiner Strategie abzuweichen, sofern die anderen nicht abweichen.

Nun kann es in Spielen aber viele Nash-Gleichgewichte geben. Selten hat dieses Konzept verfeinert. Dabei wird ein Spiel als Abfolge von Entscheidungen der Akteure modelliert. Ökonomiestudenten erinnern sich, dass dies aussieht wie ein Weihnachtsbaum, an dessen Zweigen Auszahlungen hängen. Das Spiel wird nun von unten nach oben gelöst. Seltens Verfeinerung läuft unter dem Namen «Teilspielperfektheit». Solche Gleichgewichte schliessen unglaubwürdige Drohungen der Spieler aus. Seine wichtigsten Arbeiten veröffentlichte er in den 1960er Jahren in der wenig bekannten «Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft». Als Selten 1961 an der Universität Frankfurt promovierte, stiess er in Deutschland mit seiner mathematischen Formalisierung ökonomischer Probleme noch auf Skepsis. Doch schon als Teenager hatte er sein Flair für mathematische Fragestellungen entdeckt, die er auf seinem langen Schulweg im Kopf wälzte. In der Schule sei er gut gewesen, aber nicht sehr gut.

Selten wurde 1930 in Breslau geboren. Sein Vater war Jude. Er musste sein Geschäft unter den Nazis aufgeben und emigrieren. 1945, als die Russen anrückten, flüchtete er mit seiner Mutter und den Geschwistern nach Hessen.

Der «FAZ» verriet er einmal, ein Forscher müsse von Problemen ergriffen sein und an der Wissenschaft wie an einer Droge hängen. Doch machte ihm das Forschen auch Spass? Spass sei in seinem Leben weniger eine Kategorie, hatte er damals geantwortet. Er sei eher getrieben und gequält von den Sachen, die ihn beschäftigten.

In den Modellen, die ihm den Nobelpreis einbrachten, unterstellte Selten volle Rationalität der Akteure. Für ihn war diese Analyse aber nur der Ausgangspunkt. So sagte er, man müsse den «Homo oeconomicus» erst intensiv studieren, um zu zeigen, wie falsch er sei. Selten baute an der Universität Bonn, wo er ab 1984 lehrte, denn auch ein Labor auf, in dem er erkundete, wie sich Menschen in Entscheidungssituationen verhalten. – Am 23. August ist Selten im Alter von 85 Jahren gestorben.