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Neuer Bayern-Trainer Ancelotti Der Piano-Mann

Carlo Ancelotti lässt es gemächlich angehen. Auch im Spielaufbau will der neue Bayern-Coach Stress vermeiden. Für die Konkurrenz bedeutet das: Sie wird auch mal den Ball bekommen. Zumindest leihweise.
Carlo Ancelotti

Carlo Ancelotti

Foto: Sascha Steinbach/ Bongarts/Getty Images

Von Carlo Ancelotti ist ein schöner Satz überliefert. Der Satz war einst in der Meldung einer Presseagentur zu lesen, in der Rubrik "Zitat der Woche", er las sich wie folgt: "Es ist besser, ohne Stress in den Tag hineinzuleben." Gesagt hatte der Italiener das vor knapp 20 Jahren, im Herbst 1997, bei seiner zweiten Trainerstation, dem AC Parma.

Der Spruch spiegelte die Tiefenentspanntheit Ancelottis wieder und könnte auch aus der Gegenwart stammen, denn geändert hat sich seine Einstellung nicht, sie passt bei ihm zum Leben genauso wie zum Fußball. Auch auf dem Platz bevorzugt der neue Trainer des FC Bayern in Sachen Strategie und Taktik eine eher gemächlichere Herangehensweise.

Bloß keine Hektik, nur nicht hetzen, piano pianissimo. Weshalb Spiele des FC Bayern ab sofort ganz anders aussehen werden als unter Ancelottis Vorgänger Josep Guardiola. Einer der grundlegenden Unterschiede: Jetzt wird auch der Gegner mal den Ball haben.

Josep Guardiola und Ancelotti respektieren sich sehr, sie halten den jeweils anderen für einen großen Trainer. Als Guardiola Ende Mai sein Büro an der Säbener Straße räumte, schrieb er seinem Nachfolger noch mit großen Buchstaben an die Wand: "In Bocca al Lupo, Carlo." So sagt man in Italien, wenn man jemandem Glück wünscht, Ancelotti zeigte sich davon sehr bewegt.

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Carlo Ancelotti: Willkommen im Land der Lederhose

Foto: Alexandra Beier/ Bongarts/Getty Images

Doch so groß die gegenseitige Wertschätzung sein mag, die Philosophie ist gänzlich anders. Als Philipp Lahm kürzlich zu den Unterschieden der beiden Trainer befragt wurde, sagte der Bayern-Kapitän: "Man hat schon in der Vorbereitung gesehen, dass unser System und unsere Spielweise ein bisschen verändert wurden. Es wird Phasen geben, in denen wir defensiver agieren und nicht mehr so pressen wie unter Pep." Und dass man "dem Gegner den Ball auch öfters zur Verfügung stellen" würde, so Lahm. Leihweise, versteht sich.

Zu sehen war das bereits beim Supercup, als der FC Bayern mit nur 45,9 Prozent weniger Ballbesitz hatte als Borussia Dortmund. Gut gefütterte Datenbanken spuckten umgehend aus, dass es eine so niedrige Quote zuletzt im April 2012 mit Trainer Jupp Heynckes gegeben hatte - was bereits den ersten Beleg dafür lieferte: In Ancelotti steckt mehr Jupp als Pep.

Unter Guardiola war das undenkbar, gefühlt hatten die Bayern hier immer 97,4 Prozent Ballbesitz, Minimum. Den Gegner einschnüren, ihn schon an dessen Strafraum attackieren, ihn nicht über die Mittellinie kommen lassen. Ein Spiel, das wenig Möglichkeit zum Luftholen ließ, weder den Akteuren noch den Zuschauern, ein atemloser und sicher beeindruckender Fußball, dem aber gerade in den entscheidenden Spielen der Erfolg fehlte - wie etwa 2014 beim 0:4-Debakel im Halbfinale der Champions League zu Hause gegen Real Madrid. Reals damaliger Trainer: Carlo Ancelotti.

Diese Begegnung war ein Musterbeispiel seines Spielverständnisses, das nun auch in München zu sehen sein wird: Abwarten, den Gegner kommen lassen, dann aber schnell umschalten, über die Flügel kontern und vorne gnadenlos zuschlagen. Dabei gewährt Ancelotti den Spielern weitaus mehr Freiheiten als sein Vorgänger, der der Mannschaft seine Strategie bedingungslos aufzwängte. Unter Guardiola mussten sich die Spieler dem System anpassen. Unter Ancelotti ist das genau umgekehrt. Guardiola wollte seine Spieler bändigen. Ancelotti lässt sie einfach laufen. Die italienische Version des Franz-Beckenbauer-Credos "Geht's raus und spielt's Fußball." Andate fuori e giocate calcio.

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Neuer Bayern-Trainer Ancelotti: "Der beste Trainer aller Zeiten"

Foto: Lars Baron/ Bongarts/Getty Images

Und auch am Spielfeldrand wirkt vieles anders. Während Guardiola wild herumgestikulierend unentwegt kryptisch anmutende Anweisungen gab, die, wenn überhaupt, nur seine Spieler verstanden, ist Ancelotti mehr der stille bis stoische Beobachter. In einer ganzen Saison bewegt er sich in seiner Coaching-Zone weniger als Guardiola in fünf Minuten. Ancelottis Temperament ähnelt dem von Guardiola wie eine Buddha-Statue einem Duracell-Hasen.

Zudem ist im Kader der Wohlfühlfaktor unter Ancelotti bereits jetzt deutlich höher als in den vergangenen drei Jahren unter dem kühlen und unnahbaren Guardiola. Weltmeister Toni Kroos, der in München und Madrid je ein Jahr unter Guardiola und Ancelotti spielte, sagte in einem Interview einmal: "Von der Spielidee war Pep der beste Trainer, den ich je hatte. Ancelotti aber konnte die Erfolgsbedingungen am besten mixen: die taktische Idee und das Menschliche. Als er ging, waren alle traurig."

Von Trauer war bei den Spielern des FC Bayern nichts zu sehen, als sich Guardiola im Mai verabschiedete.

So wird es ruhiger zugehen und herzlicher, und womöglich auch erfolgreicher. Ottmar Hitzfeld attestierte Ancelotti ein flexibleres und variableres Spiel und sagte: "International kann Ancelottis System noch erfolgreicher sein." Heißt: In der Champions League ist wieder mehr drin als dreimal Halbfinale wie unter Guardiola.

Erst einmal geht es zum Bundesliga-Auftakt am Freitag aber gegen Werder Bremen (20.30 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE). Natürlich ganz ruhig und unaufgeregt. Ohne Stress.

kicker.tv