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Rettungssanitäter in Not "Der Respekt gegenüber Hilfskräften nimmt drastisch ab"

Sanitäter eilen an einen Unfallort. Ihr größtes Hindernis: neugierige oder unverschämte Passanten. Ein Rettungsdienstleiter beklagt mangelnden Respekt und Handyfilmer, die das Leben von Patienten riskieren. Ein Interview von Jens Lubbadeh
Rettungssanitäter bei der Arbeit

Rettungssanitäter bei der Arbeit

Foto: Bernd Weißbrod/ dpa
Zur Person
Foto: DRK Kreisverband Stuttgart

Ralph Schuster leitet den Geschäftsbereich Rettungsdienst des DRK-Kreisverbands Stuttgart.

SPIEGEL ONLINE: Herr Schuster, folgende Anekdote hat ein Kollege erlebt: Ein Obdachloser konnte kaum noch laufen. Der Kollege ruft den Rettungsdienst. Die Sanitäter kommen, reden mit dem Mann, und fahren wieder. Begründung: Er wollte nicht mitgenommen werden. "Rufen Sie uns, wenn er am Boden liegt", sagten sie. Kann das sein?

Schuster: Aus der Ferne ist eine Situation immer schwer zu beurteilen. Sanitäter können einen Patienten nicht gegen seinen Willen mitnehmen, wenn er im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist. Das kann nur die Polizei. Deswegen rufen Sanitäter die meist hinzu, wenn sie sehen, dass eine lebensbedrohliche Situation gegeben ist, entweder durch Eigen- oder Fremdgefährdung.

SPIEGEL ONLINE: Wie stellen Sanitäter fest, ob der Patient im Vollbesitz seiner Kräfte ist?

Schuster: Sanitäter können natürlich keine Laboruntersuchung vor Ort machen. Sie stellen eine Verdachtsdiagnose - auf Basis der Symptome und auch, indem sie dem Patienten Fragen stellen: Wie heißen Sie? Welchen Wochentag haben wir? Ist es Tag oder Nacht? Da zählt dann natürlich auch die Berufserfahrung der Sanitäter mit ihren oft Tausenden von Einsätzen.

SPIEGEL ONLINE: Wenn jemand am Boden liegt, darf er dann mitgenommen werden?

Schuster: Wenn er bewusstlos ist, kann er seinen Willen nicht mehr äußern, dann nehmen Sanitäter ihn mit.

SPIEGEL ONLINE: Wie sichert sich ein Sanitäter bei einem strittigen Fall ab, dass ihn ein Patient im Nachhinein nicht auf unterlassene Hilfe verklagt?

Schuster: Die Sanitäter klären den Patienten unter Zeugen auf, was die Risiken sind, wenn er jetzt nicht mit ins Krankenhaus geht. Man kann den Patienten auch ein Dokument unterschreiben lassen, dass er die Hilfe ablehnt. Allerdings kann er auch die Unterschrift verweigern. Es ist generell wichtig, alle Maßnahmen ordentlich zu dokumentieren, damit sie noch Monate später nachvollziehbar bleiben. Sanitäter behandeln viele Patienten pro Tag, da kann man sich nicht immer genau an jeden Fall erinnern.

SPIEGEL ONLINE: Was sind die größten Schwierigkeiten im Alltag eines Sanitäters?

Schuster: Der Respekt gegenüber den Hilfskräften hat im Laufe der vergangenen Jahre drastisch abgenommen. Vor allem in den Nachtdiensten und an Wochenenden, wenn häufig Party-Situationen mit Alkohol auftreten, werden Sanitäter beschimpft und angepöbelt. Aber das betrifft auch Polizisten und Feuerwehrleute.

SPIEGEL ONLINE: Kürzlich ergab eine Studie des Bayerischen Roten Kreuz, dass die Gewalt gegenüber Sanitätern immer mehr zunimmt .

Schuster: Das können wir in Bezug auf körperliche Gewalt bei uns in Stuttgart glücklicherweise noch nicht feststellen.

SPIEGEL ONLINE: Wird der Job durch den mangelnden Respekt unattraktiver?

Schuster: Nein, zumindest bei uns im Großraum Stuttgart haben wir noch viele Bewerbungen. Es ist nach wie vor ein interessanter Beruf. Man lernt, Menschen zu helfen. Natürlich gibt es auch belastende Momente, zum Beispiel bei schweren Unfällen oder Amoklagen. Aber das sind die Ausnahmen. Wenn nur schreckliche Dinge passieren würden, würde kein Mensch mehr diesen Beruf ausüben wollen. Aber das ist nicht der Fall.

SPIEGEL ONLINE: Wie gehen Sanitäter mit der psychischen Belastung um?

Schuster: Zum einen werden sie in der dreijährigen Ausbildung darauf vorbereitet. In dieser Zeit werden sie nie alleine mit der Verantwortung gelassen, sondern immer von erfahrenem Personal begleitet. Alle Sanitäter haben außerdem die Möglichkeit anonym psychische Betreuung zu erhalten. Nach Extrem-Einsätzen wie Winnenden werden die Sanitäter von geschultem Personal betreut und ihnen werden Gespräche angeboten.

SPIEGEL ONLINE: Kommt es vor, dass ein Sanitäter den Beruf aufgibt, weil er zu belastend ist?

Schuster: Sehr selten. Im Laufe der Jahre lernt man, damit umzugehen und den notwendigen privaten Ausgleich zu suchen. Aber niemand ist gefeit. Auch bei Sanitätern, die 25 Jahre im Beruf sind, kann es passieren, dass sie ein Einsatz stärker belastet als alle anderen zuvor. Jeder reagiert da individuell.

SPIEGEL ONLINE: Man hört, dass Sanitäter immer häufiger durch Handyfilmer gestört werden.

Schuster: Das hat deutlich zugenommen, ja. Gaffen ist das eine, aber Handyfilmer drängeln sich immer häufiger so weit vor und bilden Trauben, dass die Sanitäter teilweise schon gar nicht mehr an den Patienten herankommen. Das kostet wertvolle Zeit, die dem Patienten verloren geht.

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SPIEGEL ONLINE: Im Hamburger Stadtverkehr fällt immer wieder auf, dass Rettungswagen mit Martinshorn und Blaulicht kaum noch durchkommen.

Schuster: Auch das kommt immer häufiger vor: Autofahrer bilden nur langsam oder gar keine Rettungsgasse. Wir haben gerade mit dem SWR hier in Baden-Württemberg eine Aktion laufen, in deren Rahmen bei Unfällen per Radio die Fahrer daran erinnert werden, Platz zu machen.

SPIEGEL ONLINE: Eigentlich lernt man das doch in der Fahrschule, oder?

Schuster: Eigentlich schon, ja. Aber viele Fahrer wissen offenbar nicht, wie sie sich im Rettungsfall verhalten sollen.

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