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Bauland In Großstädten explodieren die Grundstückspreise

In deutschen Großstädten herrscht Wohnungsnot, es wird zu wenig gebaut. Ein wichtiger Grund: Die Kosten für Bauland sind sprunghaft angestiegen. Die Eigentümer warten mit dem Verkauf, der Mangel heizt die Spekulation an. Von Alexander Jung
Brache am Kunsthaus Tacheles in der Oranienburger Straße in Berlin

Brache am Kunsthaus Tacheles in der Oranienburger Straße in Berlin

Foto: picture alliance / ZB/euroluftbi

In den deutschen Metropolen hebt der Markt für Grundstücke förmlich ab:

  • In Frankfurt haben sich nach SPIEGEL-Recherchen Wohnbauflächen in zwei Jahren um 27 Prozent verteuert.
  • In Stuttgart sind die Grundstückskosten für Geschossbauten im vergangenen Jahr um 15 bis 20 Prozent gestiegen.
  • In München hat sich das ohnehin exorbitante Preisniveau 2015 in guten Wohnlagen noch mal um 19 Prozent erhöht; dort kostet ein Quadratmeter für einen Geschossbau 3000 Euro im Schnitt.
  • In Hamburg sind Bauplätze für Einfamilienhäuser in einem Jahr um 13 Prozent teurer geworden, seit 2010 zahlt man dort über die Hälfte mehr.
  • Am stärksten zogen die Grundstückspreise in Berlin an, innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings sind sie im vorigen Jahr um 50 Prozent gestiegen.

Verantwortlich für die Preisexplosion ist unter anderem das Verhalten der Eigentümer: Sie halten ihre Grundstücke zurück und treiben so die Preise in die Höhe. 2015 wurden in Berlin rund 22.000 Bauvorhaben genehmigt, davon haben die Antragsteller aber nur 12.500 fertiggestellt: Rund 40 Prozent wurden nicht realisiert.

Berlins Bau-Staatssekretär Engelbert Lütke Daldrup sieht das Missverhältnis als Indiz dafür, dass Spekulanten am Werk sind. Er würde gerne eine Grundsteuer für Bauland einführen, eine Art Spekulationsteuer. Dafür will er in den Verhandlungen um die Reform der Grundsteuer werben.

In dieser Woche haben Hessen und Niedersachsen, die von den Bundesländern mit der Federführung betraut sind, einen Gesetzentwurf vorgelegt, voraussichtlich im September wollen ihn die Länder einbringen.

Lesen Sie hier die ganze SPIEGEL-Geschichte:
Lücken in Luxuslage - wie niedrige Zinsen und eine diffuse Angst ums Geld die Nachfrage nach Bauland anheizen

Der Frankfurter Professor Fabian Thiel nimmt seine Bauingenieursstudenten gern mal mit auf eine Exkursion. Dann ziehen sie ins Westend, vorbei an Glaspalästen und Gründerzeitvillen. Thiel aber lenkt die Aufmerksamkeit auf die Räume dazwischen: lauter Lücken in bester Lage, Luxusbrachen, auf denen höchstens die Maulwürfe graben. Nur keine Bagger.

"Es gibt Bauland en masse im Innenbereich Frankfurts", sagt der Wissenschaftler. Viele Eigentümer ließen das Land jedoch liegen und setzten darauf, dass es wertvoller wird, mit Erfolg: Inzwischen beginnen die Quadratmeterpreise im Westend bei 3900 Euro. Die Stadt könne dagegen wenig unternehmen. "Sie hat keine Handhabe", sagt Thiel, "es ist desillusionierend." Die Spekulation mit Grund und Boden hat in Frankfurt am Main eine besondere Tradition. Schon Anfang der Siebzigerjahre sorgte sie für heftige Konflikte, gerade im Westend, wo der legendäre Häuserkampf entbrannt war. Nun wird wieder wie wild spekuliert, nicht nur in der Frankfurter Innenstadt, sondern überall in deutschen Metropolen. Auch in Berlin, Hamburg, Stuttgart oder München spielen die Preise verrückt.

Rekordniedrige Zinsen, der Mangel an Anlagealternativen und eine diffuse Angst ums Geld heizen die Nachfrage nach Grundstücken an. Die Eigentümer indes warten ab und treiben so die Preise in irrwitzige Höhen: Baulücken werden zu Goldgruben.

Wenn heute in den Großstädten Wohnungsnot herrscht, dann hat dies auch mit der Explosion der Grundstückspreise zu tun. Üblicherweise machen die Ausgaben ein Viertel der Baukosten aus, sie entscheiden darüber, wie teuer ein Vorhaben ausfällt. Das gegenwärtige Niveau wirke auf Unternehmen, die bezahlbaren Wohnraum schaffen wollen, investitionshemmend, sagt der Berliner Baumanager Frank Schrecker: "Wir können nicht unser gutes Geld für Grundstücke ausgeben, für die abenteuerliche Preise verlangt werden." Schrecker ist Vorstandsvorsitzender der Berolina, einer Baugenossenschaft mit rund 4000 Wohnungen, ihr Kernbestand befindet sich in bester Innenstadtlage, im Heinrich-Heine-Viertel. Direkt angrenzend stand vor drei Jahren eine Wohnbaufläche zum Verkauf, es hätte perfekt gepasst, sagt Schrecker. Also boten die Genossen mit.

Sie lehnten sich weit aus dem Fenster, rund 2,5 Millionen Euro hätten sie lockergemacht - verkauft aber wurden die rund 2300 Quadratmeter für ungefähr den doppelten Preis. "Das ist nicht mehr gesund", ärgert sich Schrecker: "Am freien Markt gehen wir gnadenlos unter." Neue Mietshaussiedlungen zu entwickeln kommt für ihn unter diesen Umständen nicht infrage.

Innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings sind die Grundstückspreise im vorigen Jahr um 50 Prozent gestiegen - und das ist bloß der Durchschnitt: Zum Teil legen Investoren Summen auf den Tisch, die fünfmal höher sind als die Bodenrichtwerte. Auch in anderen deutschen Großstädten hebt der Markt förmlich ab.

In Frankfurt haben sich Wohnbauflächen in zwei Jahren um 27 Prozent verteuert. In Stuttgart sind die Grundstückskosten für Geschossbauten 2015 um 15 bis 20 Prozent gestiegen. In München hat sich das ohnehin schon exorbitante Preisniveau im vorigen Jahr in guten Wohnlagen noch mal um 19 Prozent erhöht; dort kostet ein Quadratmeter für einen Geschossbau 3000 Euro im Schnitt. Und in Hamburg sind Bauplätze für Einfamilienhäuser in einem Jahr um 13 Prozent teurer geworden, seit 2010 zahlt man dort über die Hälfte mehr.

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Die Preise verlieren jedes Maß, insbesondere wenn ganze Areale zum Verkauf stehen. Mehr als 150 Millionen Euro soll dem Vernehmen nach ein Düsseldorfer Investor für das Gelände der alten Holsten-Brauerei im Hamburger Stadtteil Altona hingelegt haben, ein Industriegelände von gut 86000 Quadratmetern, auf dem Wohnungen für 7500 Bürger entstehen sollen. Dazu kommen die Kosten für die Erschließung, eine eventuelle Altlastenbeseitigung und der Abbruch der alten Gebäude. "Völlig absurd" seien solche Konditionen, sagt Peter Jorzick, ein Hamburger Projektentwickler, der mitbot und ausstieg.

Seit 30 Jahren ist Jorzick im Geschäft, immer sei Kapital ein knappes Gut gewesen, nun plötzlich stehe es grenzenlos zur Verfügung. "Die Profiteure dieser Überkapitalisierung sind die Eigentümer, die sich in Versteigerungsverfahren ihre Grundstücke vergolden lassen", sagt Jorzick. Den Preis zahlten die Nutzer, letztlich die Mieter: "Die Grundstückskosten gehen eins zu eins in unsere Rechnung ein." Die Entwicklung erreicht mittlerweile auch die Speckgürtel der Großstädte. Als die Gemeinde Stade, 50 Kilometer von Hamburg entfernt, ein Neubaugebiet mit 140 Grundstücken ausschrieb, lag die Nachfrage dreimal höher als das Angebot. Die Flächen seien so begehrt gewesen "wie Karten für die Elbphilharmonie", sagt Wolfgang Werner, Vorstand des Bauunternehmens Viebrockhaus aus dem benachbarten Harsefeld.

Viebrockhaus baut im Jahr rund 900 Häuser, überwiegend in Norddeutschland. Die Finanzierung sei für viele Kunden das kleinere Problem im Vergleich dazu, überhaupt einen Bauplatz zu finden. "Das ist heute das Nadelöhr", sagt Werner. Das Unternehmen zahlt Mitarbeitern eine Prämie für Hinweise auf Flächen, die in gefragten Lagen zum Verkauf stehen.

Es ist kaum noch Bewegung im Geschäft mit Grundstücken. Wenn in Großstädten etwas angeboten wird, dann bekommt meist derjenige den Zuschlag, der das höchste Gebot abgibt. Die Käufer wiederum - Investmentfirmen, reiche Familien oder Privatleute - betreiben in Erwartung steigender Preise sogenanntes Land Banking: Sie lassen den Boden oft jahrelang liegen.

Seit 2003 etwa klafft am Spielbudenplatz im Hamburger Stadtteil St. Pauli eine Baulücke, verdeckt von einer Gründerzeitfassade. Vor mehr als hundert Jahren wurde hier in der "Hamburg-Amerika-Bar" gefeiert, später planschten die Hamburger dort im Wellenbad. Heute gehört die Liegenschaft einem Spielhallenbetreiber, er plante, auf dem Gelände zu expandieren. Doch die Stadt verweigerte die Genehmigung, seitdem macht der Mann keine Anstalten, das Kiezgelände zu bebauen. Er nutzt die Fassade lediglich als Werbefläche für seine Daddelbuden.

Foto: Statistische Ãmter des Bundes und der LÃ?nder

In jeder größeren Stadt finden sich solche Beispiele für Brachen in Toplagen, dort schlummern ungeahnte Wohnungsbaureserven. Seit der Wende glich das Tacheles-Areal in Berlin-Mitte einer Ödnis, erst jetzt wird es bebaut. Fast sieben Prozent der kommunalen Flächen in Deutschland sind laut einer Studie des Instituts für ökologische Raumentwicklung Brachen oder Baulücken, das entspricht 165000 Hektar oder 20 Quadratmetern pro Einwohner.

Allein in Berlin existiert laut "Stadtentwicklungsplan Wohnen 2025" ein Flächenpotenzial für rund 216000 Wohnungen. Das sei ausreichend, um den gesamten Bedarf zu decken, so die Studie. Es komme aber darauf an, dass diese Potenziale "auch tatsächlich für den Markt aktiviert werden".

Und daran hapert es.

Im vergangenen Jahr wurden in Berlin rund 22000 Bauvorhaben genehmigt, davon haben die Antragsteller aber nur 12500 fertiggestellt: Rund 40 Prozent wurden nicht realisiert. "Das ist ärgerlich", sagt Bau-Staatssekretär Engelbert Lütke Daldrup, "es bindet Ressourcen in den Ämtern." Er deutet das Missverhältnis als Indiz dafür, dass Spekulanten am Werk sind.

Ihr Geschäftsmodell: Sie kaufen Grundstücke, um sie nach erteilter Baugenehmigung weitaus teurer wiederzuverkaufen. "Diese Leute wollen nicht bauen, sondern nur Handel betreiben", rügt Lütke Daldrup solches Verhalten. Er will dies nicht hinnehmen. Der Staatssekretär würde gern eine Grundsteuer für Bauland einführen, eine Art Spekulationsteuer. Dafür will er in den Verhandlungen um die Reform der Grundsteuer werben. Er muss sich sputen: In dieser Woche haben Hessen und Niedersachsen, die von den Bundesländern mit der Federführung betraut sind, einen Gesetzentwurf vorgelegt, voraussichtlich im September wollen ihn die Länder einbringen.

Seit mehr als 20 Jahren ringen Bund und Länder um eine Novellierung, das Bundesverfassungsgericht hatte sie angemahnt. Bis heute bemisst sich die Grundsteuer an Einheitswerten, die völlig veraltet sind: Im Westen Deutschlands stammen sie von 1964, im Osten gar von 1935. Die Höhe der Grundsteuer richtet sich, anders als ihr Name suggeriert, weniger nach dem Grund, sondern vor allem nach dem Gebäude, falls vorhanden. Die Folge: Freie Flächen werden wesentlich niedriger besteuert als bebaute.

Der Eigentümer eines Einfamilienhauses, das auf einem Grundstück von 600 Quadratmetern steht, zahlt laut Rechnung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) im Bundesdurchschnitt 317 Euro Grundsteuer im Jahr. Dieselbe Fläche ohne Haus kostet den Steuerzahler nur 88 Euro. "Es gibt kaum Anreize, Brachflächen zu bebauen, Baulücken zu schließen oder ein Grundstück möglichst effizient zu nutzen", bemängelt der IW-Immobilienexperte Ralph Henger.

Engelbert Lütke Daldrup, Staatssekretär für Bauen und Wohnen

Engelbert Lütke Daldrup, Staatssekretär für Bauen und Wohnen

Foto: imago/Christian Thiel

Das Kölner Institut gehört zu einem breiten Bündnis von Reformern, die für einen Systemwechsel werben. Im Aufruf "Grundsteuer. Zeitgemäß!" (www.grundsteuerreform.net) machen sich Steuerrechtler und Städteplaner, Mieterbund, Naturschutzbund und 24 weitere Organisationen sowie mehr als 40 Bürgermeister, darunter der Tübinger OB Boris Palmer, für eine Bodensteuer stark, wie sie schon Milton Friedman favorisiert hatte, der 2006 verstorbene Ökonom. Der Nobelpreisträger nannte sie die "am wenigsten schlechte Steuer".

Die Bodensteuer bemisst sich ausschließlich am Boden und nicht am Gebäude. So übt sie sanften Druck auf den Eigentümer aus, mit dem Grundstück etwas zu unternehmen: Erträge zu erzielen, aus denen er die Steuer bedienen kann. Wenn der Eigentümer des 600-Quadratmeter-Areals die Fläche liegen ließe, müsste er laut IW-Rechnung nicht 88 Euro, sondern 387 Euro Steuern zahlen. Der Spekulation würde so der Boden entzogen, argumentieren die Reformer, und Nichtstun bestraft.

Die Anwendung einer solchen Steuer ist effizient, da sich Grund und Boden naturgemäß der Besteuerung nicht entziehen können, anders als Kapital. Sie lässt sich leicht erheben, da örtliche Gutachterausschüsse ohnehin fast überall Bodenrichtwerte ermitteln: Ihre Quelle sind die Kaufverträge, die ihnen Notare in Kopie übermitteln müssen. Und sie bietet auch einen ökologischen Vorteil: Wenn Kommunen, bevor sie Neubaugebiete ausweisen, zunächst Baulücken schließen, verringern sie den Flächenverbrauch und verhindern Zersiedelung.

Vor allem aber könnte eine Bodensteuer wie eine Preisbremse für Grundstücke wirken. Vermutlich würde ein solches Instrument den Wohnungsbau eher stimulieren als die Mietpreisbremse, die dort, wo sie eingeführt wurde, wirkungslos blieb.

Die Vorteile einer Bodensteuer klingen plausibel, dennoch scheut eine Mehrheit der Landesfinanzminister davor zurück, sie hatte in den Verhandlungen keine Chance. Offensichtlich fürchten sie die Einführung einer Bodensteuer, weil es eindeutige Verlierer gibt: die Eigentümer unbebauter Grundstücke sowie von Einfamilienhäusern mit großzügigen Grünflächen. Außerdem veränderte eine solche Abgabe die Finanzkraft jedes Bundeslands erheblich. In Niedersachsen würde sich nach IW-Kalkulation das Aufkommen aus der Grundsteuer nahezu halbieren, in Bayern nähme es um die Hälfte zu. Solche Umverteilungseffekte provozieren Querelen - da bewahren die Finanzminister lieber den Status quo.

Stattdessen haben die Experten ein neues Modell entwickelt, nach dem die Grundsteuer bemessen werden soll. Die Behörden werden die kommenden zehn Jahre gut zu tun haben. Es gilt nämlich, sämtliche rund 35 Millionen Grundstücke und Gebäude in Deutschland neu zu bewerten.

Und das soll so funktionieren: Die Finanzbeamten kalkulieren das Grundstück nach dem Bodenrichtwert, das ist der einfache Part. Diesen kombinieren sie mit dem Gebäudewert: Er ist sehr viel schwieriger zu ermitteln. Dies soll nämlich anhand der Kosten geschehen, zu denen das Objekt hergestellt wurde; hier spielt das Alter eine Rolle, aber auch die Frage, ob der Bau unterkellert ist, ein Dachgeschoss oder ein Flachdach hat. Bis die Ämter so weit sind, Steuerbescheide zu versenden, dauert es voraussichtlich bis 2027.

Ein enormer Aufwand - im Ergebnis indes dürfte sich gar nicht viel ändern: Die neue Grundsteuer soll ähnliche Summen einbringen wie ihre Vorgängerin, bundesweit jährlich rund 13 Milliarden Euro. Auch die Fehlanreize bleiben leider bestehen: Wer Wohnraum schafft, indem er Baulücken schließt oder Dachgeschosse ausbaut, wird weiter bestraft. Wer hingegen sein Land liegen lässt, kommt günstiger weg und kann munter spekulieren.

"Es bewegt sich in die falsche Richtung", fürchtet Dirk Löhr, ein Trierer Steuerrechtler. Die Politik verpasse die Chance, Druck auf die Eigentümer aufzubauen, ihre Grundstücke effizienter zu nutzen, sagt der Professor. Im Ausland sei das Instrument bereits erprobt.

Dänemark und Estland besteuern den Boden, Australien und Taiwan verfahren ebenso. Schon Sun Yat-sen, den Vater des modernen China, begeisterte das Konzept, von dem er 1905 auf einer Berlinreise erfuhr. Zu jener Zeit existierte im Deutschen Reich eine starke Bodenrechtsbewegung. Ihre Ideen wurden schon damals ignoriert.