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SPIEGEL-Gespräch mit Bodo Ramelow "Wir sind keine Pazifisten"

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow hält eine rot-rot-grüne Koalition im Bund für möglich. Dafür müsse seine Partei radikale Positionen räumen, fordert der Linke im SPIEGEL-Gespräch mit Christiane Hoffmann und Wolf Wiedmann-Schmidt.
Bodo Ramelow in der Staatskanzlei in Erfurt

Bodo Ramelow in der Staatskanzlei in Erfurt

Foto: Thomas Grabka/ DER SPIEGEL

"Ich würde meiner Partei dringend empfehlen, sich genau zu überlegen, was die Punkte sind, die uns wirklich trennen", sagte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow mit Blick auf Sozialdemokraten und Grüne im SPIEGEL-Gespräch. Die Linke solle die Frage einer Nato-Mitgliedschaft Deutschlands "nicht zum K.-o.-Kriterium überhöhen", so Ramelow. Es gebe zwischen SPD, Grünen und Linke "mehr Verbindendes als Trennendes".

Die Kritik der Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht an den "Antidemokraten" in Brüssel bezeichnete Ramelow als "nicht hilfreich". Thüringen und die neuen Länder profitierten extrem von Brüssel.

Angesichts der Diskussion über einen rot-rot-grünen Kandidaten für die Bundespräsidentenwahl zeigte sich Ramelow skeptisch. "Wenn wir die Bundesversammlung polarisieren und am Ende schafft es ein rot-rotgrüner Kandidat mit knapper Mehrheit, dann müsste diese Persönlichkeit anschließend einen unglaublichen Kraftakt vollbringen." Ramelow plädiert für einen Kandidaten "mit Ausstrahlung in die ganze Gesellschaft". Denn: "Wir brauchen jemanden, der auch die Menschen erreicht, die AfD und Pegida hinterherlaufen."

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SPIEGEL: Herr Ramelow, Horst Seehofer und Sie sollen sich im Bundesrat hervorragend verstehen. Ein Linker und ein CSU-Mann: Was ist da los?

Ramelow: Ich sitze im Bundesrat als Ministerpräsident von Thüringen, nicht als Parteipolitiker. Entsprechend verhalte ich mich auch.

SPIEGEL: Und dann kommt man auch mit Seehofer klar?

Ramelow: Klar, warum denn nicht? Wir haben eine gemeinsame Landesgrenze, wir haben gemeinsame Stromleitungen und viele andere Themen, die wir gemeinsam bearbeiten müssen. Und deshalb gehe ich auf ihn zu und sage: Hör mal Horst, wir haben da noch ein paar Sachen zu klären.

SPIEGEL: Sie sagen Du zueinander?

Bayerns Ministerpräsident Seehofer (l.), Ramelow: Kein Blatt dazwischen

Bayerns Ministerpräsident Seehofer (l.), Ramelow: Kein Blatt dazwischen

Foto: Jörg Carstensen/ dpa

Ramelow: Manchmal. Wichtig sind gemeinsame Interessen in Sachfragen. Als es neulich bei einem Treffen zwischen den Ministerpräsidenten und der Kanzlerin um das Erneuerbare-Energien-Gesetz ging, sagte Angela Merkel zu ihm: Bist du wieder ganz allein, oder hält jemand zu dir? Da habe ich gerufen: Frau Bundeskanzlerin, zwischen den bayerischen Ministerpräsidenten und mich passt heute kein Blatt. Aber natürlich liegen bei anderen Themen Welten zwischen uns, vor allem wenn es um Flüchtlinge geht.

SPIEGEL: Ist die Linke mit schuld am Erfolg der AfD im Osten?

Ramelow: Nein. Die AfD gewinnt Wählerinnen und Wähler von der Union bis zur Linken. Es gibt offenbar einen Teil der Bevölkerung, um die 20 Prozent, der mit unseren Lebenssituationen und mit dem, was im ganzen Land passiert, einfach nicht einverstanden ist. Den gab es aber schon früher, nun hat er mit der AfD eine Plattform gefunden.

SPIEGEL: Früher wählten viele der Unzufriedenen die Linke. Heute stellt Ihre Partei einen Ministerpräsidenten, Sie gehören inzwischen auch zum Establishment. Zu denen da oben.

Ramelow: Die alte PDS hat lange in Ostdeutschland viele Protestwähler gebunden, das stimmt. Und je stärker wir ausgegrenzt wurden, etwa durch die Rote-Socken-Kampagne der Union, desto stärker waren wir der Anziehungspunkt derer, die den Protest gesucht haben. Aber diese Zeiten sind vorbei. Wir übernehmen Verantwortung. Wir stellen Oberbürgermeister und Landräte. Wir sind Teil des Gestaltungssystems. Auch durch noch so lautes Klappern wird sich dieser Protest nicht mehr binden lassen, dieses Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr.

SPIEGEL: Sie geben die Wähler, die zur AfD abwandern, verloren?

Ramelow: Nein. Natürlich müssen wir jenen, die Angst vor dem Abstieg oder vor Altersarmut haben, deutlich machen: Wir nehmen eure Ängste ernst. Diese Wählerinnen und Wähler wollen und können wir zurückgewinnen. Aber wenn Sie sich anschauen, wer der AfD und Pegida hinterherläuft, dann sind das ja nicht nur Menschen, denen es objektiv schlecht geht. Die sind mit sich und der Welt unzufrieden und kriegen eine einfache Antwort geliefert, wer schuld ist: Flüchtlinge, Muslime, Journalisten, Politiker. Wir gegen die. Dieses Potenzial ist nennenswert, und es gefährdet das Modell der parlamentarischen Demokratie. Diese Menschen haben in der Vergangenheit gar nicht gewählt. Sie wählen nun AfD. Und das ist nicht nur ein Problem meiner Partei, sondern aller.

SPIEGEL: Der frühere Linkenchef Oskar Lafontaine hält Populismus für ein legitimes Mittel der Politik. Mitunter stimmt er dabei auch xenophobe Untertöne an und spielt die Schwachen gegen die Schwächsten aus: deutsche Arbeiter, Rentner und Arbeitslose gegen Flüchtlinge.

Ramelow: Gegen ein gewisses Maß an Populismus, im Sinne von Zuspitzung, habe ich auch nichts einzuwenden. Aber einen Populismus, der eine Gruppe ausgrenzen soll, lehne ich scharf ab. Mein Parteivorsitzender Bernd Riexinger sagte dazu: "Die AfD ist rechts, wir sind links." Das ist der Unterschied.

SPIEGEL: Sie haben Ihre rot-rot-grüne Landesregierung von Anfang an auch als Labor betrachtet, als Versuchsanordnung für die Bundesebene.

Ramelow: Erst mal als Beweis, dass Rot-Rot-Grün möglich ist. Denn bis dahin waren ja alle Anläufe gescheitert. Auch an Teilen meiner eigenen Partei. Vor vier Jahren bei der Tolerierung einer Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen haben einige unsere Grundsätze so hochgehalten, dass man bequem drunter durchlaufen konnte. Damals galt offensichtlich: Grundsätze sind wichtiger als Abgeordnetenplätze. Ich sehe meine Aufgabe darin, jeden Tag für ein bisschen mehr Gerechtigkeit zu arbeiten. Und das setzt praktische Politik voraus. In diesem Sinne ist Thüringen ein erfolgreiches Labor.

SPIEGEL: Ist 2017 die Zeit reif für Rot-Rot-Grün im Bund?

Ramelow: Hätten Sie mich das vor einem Jahr gefragt, hätte ich ehrlicherweise zugeben müssen, dass ich nicht daran glaube. Heute sage ich, es ist möglich. Es gibt zwischen SPD, Grünen und Linke mehr Verbindendes als Trennendes. Die Große Koalition ist verheerend für unser Land. Letztlich hat sie den Platz auf der rechten Seite freigemacht. Die Unterschiede müssen wieder deutlich werden zwischen dem konservativen Lager und dem linksliberalen Gegenmodell, das für die Erneuerung des Sozialstaats steht. Zum Beispiel durch eine Bürgerversicherung, in die jeder einzahlt.

SPIEGEL: Die Linkspartei will die Nato auflösen. Das ist ein grundlegender Dissens zu SPD und Grünen.

Bodo Ramelow: "Propaganda mit Tatsachen widerlegen"

Bodo Ramelow: "Propaganda mit Tatsachen widerlegen"

Foto: Thomas Grabka/ DER SPIEGEL

Ramelow: Auch ich werde in diesem Leben nicht mehr zum Nato-Fan. Aber man sollte die Frage nicht zum K.-o.-Kriterium überhöhen. Wenn wir durchsetzen könnten, statt des Rüstungsetats den Bildungsetat und den Entwicklungsetat deutlich zu erhöhen, scheint mir das politisch bedeutsamer zu sein als die Forderung eines Nato-Austritts als Vorbedingung für eine Koalition mit SPD und Grünen. Und nach der bemerkenswerten Anmerkung von Herrn Steinmeier zum Säbelrasseln der Nato habe ich das Gefühl, dass wir sogar hier mehr Gemeinsames haben, als manch einer bei uns wahrhaben will.

SPIEGEL: Können Sie sich vorstellen, dass es in einer rot-rot-grünen Bundesregierung einen Bundeswehreinsatz im Ausland gibt, mit Zustimmung Ihrer Partei?

Ramelow: Ich kann mir das im Moment nicht vorstellen. Aber nach meiner Überzeugung sind wir keine Pazifisten, sondern eine Antikriegspartei. Das ist ein Unterschied.

SPIEGEL: Die Mehrheit der Linken konnte bei einer Abstimmung im Bundestag nicht mal dafür stimmen, dass Deutschland Chemiewaffen aus Syrien vernichtet.

Ramelow: Die Entscheidung halte ich auch deshalb für falsch, weil Deutschland das Zeug selbst nach Nahost geliefert hat. Gregor Gysi hat schon vor Jahren eine entscheidende Frage aufgeworfen: Wie halten wir Linken es mit Uno-mandatierten Einsätzen? Können wir da wirklich sagen: niemals nie?

SPIEGEL: Trotz all dieser Streitpunkte in der Außenpolitik halten Sie Rot-Rot-Grün für möglich?

Ramelow: Eine Koalition arbeitet auf vertraglicher Grundlage. Da hält man die Gemeinsamkeiten fest, und das Trennende wird beiseitegelegt. Die SPD muss akzeptieren, dass wir an einer bestimmten Stelle anderer Meinung sind, und wir müssen akzeptieren, dass die SPD oder die Grünen anderer Meinung sind. Ich würde meiner Partei dringend empfehlen, sich genau zu überlegen, was die Punkte sind, die uns wirklich trennen. Klar ist: Als 10-Prozent-Partei werden wir nicht 100 Prozent unseres Programms durchsetzen können. Deshalb sollten wir uns auf unseren Markenkern fokussieren: soziale Gerechtigkeit. Wenn wir ganz konkret etwas für Langzeitarbeitslose, Kinder aus armen Familien, Niedrigverdiener und Rentner verbessern können, sollten wir das tun.

SPIEGEL: Ihre Parteigenossin Sahra Wagenknecht gilt bei SPD und Grünen als größtes Hindernis für ein gemeinsames Bündnis auf Bundesebene: als Hüterin der reinen Lehre, für die Kompromisse nah am Verrat sind.

Linken-Fraktionschefin Wagenknecht: Potenzial beim Aufbau von Vertrauen

Linken-Fraktionschefin Wagenknecht: Potenzial beim Aufbau von Vertrauen

Foto: Oliver Berg/ dpa

Ramelow: Ich halte die Kritik an Sahra Wagenknecht für vorgeschoben. Wer Merkel als Kanzlerin ablösen will, kann nicht vorher sagen: "nur ohne Wagenknecht". Die Diskussion zeigt, dass wir noch Potenzial haben beim Aufbau von Vertrauen. Ich will nicht abstreiten, dass es in meiner Partei manche gibt, die auf Fundamentalopposition setzen. Sahra Wagenknecht erlebe ich anders, und offenbar nicht nur ich. Als sie bei einem Festvortrag im Erfurter Rathaus war, da hingen die konservativen Banker nur so an ihren Lippen.

SPIEGEL: Im Bundestag hielt Wagenknecht gerade eine Rede, in der sie gegen die "Antidemokraten" in Brüssel wetterte. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann verglich ihre EU-Verachtung mit der von AfD-Politikern.

Ramelow: Diese Äußerung mit dem Begriff Antidemokraten war nicht hilfreich. Zwar sehe ich auch ein Demokratiedefizit in der EU, aber wir müssen vorsichtig sein mit Pauschalkritik. Thüringen und die neuen Länder profitieren extrem von Brüssel. Mit europäischen Mitteln werden viele Arbeitsplätze gesichert, Dörfer können erneuert werden. Im Kern geht es für mich um die Frage, ob wir als Linke praktische Politikangebote machen.

SPIEGEL: Würden Sie ins Bundeskabinett wechseln, sollte es zu Rot-Rot-Grün kommen?

Ramelow: Nee!

SPIEGEL: Ausgeschlossen?

Ramelow: Ich habe in meinem Leben drei Wechsel für mich organisieren müssen, von West nach Ost, von der Gewerkschaft in die Politik, von Erfurt nach Berlin. Glauben Sie mir, ich war so froh an dem Tag, als ich mit meiner Frau entschieden habe, wir gehen wieder zurück nach Thüringen. Auch meinem Hund Attila gefällt es hier hervorragend, das Schwimmen im Bleilochstausee liebt er über alles.

SPIEGEL: Einige Verfechter eines linken Bündnisses auf Bundesebene glauben, man sollte bei der Bundespräsidentenwahl im Februar die Weichen stellen und einen rot-rot-grünen Kandidaten ins Amt heben. Fällt Ihnen da jemand ein?

Ramelow: Das ist nicht meine Position. Mir wäre es wichtig, eine geeignete Persönlichkeit zu finden, die das Land nach innen einen kann. Unsere Gesellschaft ist gespalten. Ich habe Demonstrationen erlebt, bei denen Bischöfe niedergeschrien wurden. Wir brauchen jemanden, der auch die Menschen erreicht, die AfD und Pegida hinterherlaufen. Und sie daran erinnert, dass Deutschland ein reiches und starkes Land ist, in dem man Probleme lösen und nicht nur in schrillen Tönen anprangern kann.

SPIEGEL: Ein zu linker Bundespräsident würde das Land weiter spalten?

Ramelow: Man sollte die Bundespräsidentenkür jedenfalls nicht auf parteipolitische Manöver reduzieren. Das ist mir zu eng. Wenn wir die Bundesversammlung polarisieren und am Ende schafft es ein rot-rot-grüner Kandidat mit knapper Mehrheit, dann müsste diese Persönlichkeit anschließend einen unglaublichen Kraftakt vollbringen. Ich wünsche mir jemanden mit Ausstrahlung in die ganze Gesellschaft.

SPIEGEL: Einen Kandidat, hinter den sich sowohl Ihre Partei als auch die Union stellen könnten? Da sind wir jetzt aber gespannt.

Ramelow: Ich werde die Spekulationen nicht befeuern. Man sollte die Bundespräsidentenwahl nicht als Vorwegnahme einer bestimmten Koalition verstehen. Wenn wir 2017 eine rot-rot-grüne Bundesregierung ermöglichen wollen, müssen wir unabhängig von der Bundespräsidentenfrage daran arbeiten und so schnell wie möglich konkrete Gespräche führen.

SPIEGEL: Der AfD-Landesverband um Björn Höcke in Thüringen ist so radikal wie wenige andere. Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, Ihren Verfassungsschutz auf die Höcke-Truppe anzusetzen?

Ramelow: Das fragen Sie ernsthaft jemanden, der selber 30 Jahre lang vom Verfassungsschutz beobachtet wurde und bis nach Karlsruhe ziehen musste, um diesen Irrsinn zu beenden? Man kann das Problem mit der AfD nicht über den Verfassungsschutz lösen, eine Beobachtung von Björn Höcke würde ihn doch nur zum Opfer stilisieren. Man muss anders mit der AfD umgehen.

SPIEGEL: Wie denn?

Ramelow: Zum einen, indem man Klartext redet. Ich bezeichne Höcke nicht als Nazi. Aber er benutzt bewusst Nazisprache. Und zum anderen, indem man Propaganda mit Tatsachen widerlegt. Zum Beispiel in der Flüchtlingsfrage. Wir hatten im vergangenen Jahr in Thüringen zum ersten Mal seit 27 Jahren am Jahresende netto mehr Einwohner als am Jahresanfang. Das ist eigentlich ein gutes Signal, denn wir haben gleichzeitig eine niedrige Arbeitslosigkeit, die niedrigste im Osten und Platz sieben in Gesamtdeutschland. Und da stellt sich Höcke hin und erklärt es zur Schicksalsfrage, ob wir weitere Zuwanderung vertragen können oder ob in einem Gewerbegebiet in Erfurt-Marbach eine Moschee für 70 Muslime gebaut wird. Das ist doch absurd. Genauso absurd wie seine Aussage, entweder die AfD übernehme eine führende Rolle in der Landesregierung, oder es drohe Bürgerkrieg. Ich verstehe das als antidemokratische und offene Drohung.

SPIEGEL: Herr Ramelow, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.