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Briten-Austritt Die SPD drängt, Merkel bremst

Soll Großbritannien möglichst rasch den Antrag auf den EU-Austritt stellen? Die Koalition in Berlin ist sich uneinig: Die SPD drückt aufs Tempo, Kanzlerin Merkel hat es aber offenbar nicht eilig.
Steinmeier (SPD) und Merkel (CDU)

Steinmeier (SPD) und Merkel (CDU)

Foto: Kay Nietfeld/ dpa

Die Nachrichten auf BBC beginnen in diesen Tagen nach dem Brexit oft mit einem Blick auf Berlin. Deutschland war schon vor dem Referendum das wichtigste Land in der EU, jetzt ist sein Gewicht noch einmal gewachsen, zumal Frankreich in einer politischen und wirtschaftlichen Krise steckt.

Kanzlerin Merkel hat den französischen Präsidenten François Hollande, den italienischen Ministerpräsident Matteo Renzi und den EU-Ratspräsidenten, den Polen Donald Tusk, für Montag in die deutsche Hauptstadt geladen. Es geht um das weitere Vorgehen nach dem Referendum.

Die Briten, aber auch viele EU-Mitgliedstaaten wollen wissen, wie Angela Merkel und ihre Regierung mit dem Brexit in den kommenden Monaten umgehen. Es geht vor allem um die Frage des Tempos: Soll die britische Regierung schnell ihren Austritt und damit einen womöglich zweijährigen Verhandlungsprozess einleiten? Oder soll London abwarten und sich die Entscheidung noch einmal gründlich überlegen? Klar ist: Nur die britische Regierung kann nach Artikel 50 des EU-Vertrags einen Austritt erklären.

Premier David Cameron hat klargemacht, bis Oktober warten zu wollen, wenn nach seinem Rücktritt eine neue britische Regierung gebildet wird. Von Berlin ist hingegen derzeit keine klare Antwort zu erwarten. Denn die Kanzlerin und ihr Außenminister Frank-Walter Steinmeier senden recht unterschiedliche Signale.

Die SPD macht Druck - für einen raschen Austritt

In der Frage, ob die Briten schnell ihren Austritt erklären sollen, machen die Sozialdemokraten Druck - während Merkel auf die Bremse tritt. Am Freitagmorgen, am Tag nach dem Referendum, hatte die SPD-Spitze in einer Telefonschalte ihren Kurs abgesteckt. Seitdem wird auf vielen Kanälen eine Botschaft transportiert: Die britische Regierung soll sich möglichst rasch entscheiden. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) brachte sogar eine Festlegung auf dem EU-Gipfel an diesem Dienstag ins Spiel: Das sei "der geeignete Zeitpunkt". Auch aus der SPD-Fraktion kommen ähnliche Wortmeldungen. "Die SPD wird es keinen Tag lang hinnehmen, wenn die Kanzlerin beim EU-Gipfel am Dienstag vor dem Zeitdiktat von Premier David Cameron einknickt", sagte Fraktionsvize Axel Schäfer. Das britische Volk habe leider für den Brexit gestimmt, jetzt müssten "umgehend" die Verhandlungen beginnen.

Steinmeier reist nach Prag

Steinmeier hält sich mit eindeutigen Festlegungen zurück. Am Samstag lud er die westeuropäischen Außenminister der sechs Gründungsstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Deutschland, Frankreich, Italien und die Benelux-Staaten) nach Berlin. In der Abschlusserklärung der sechs wird zwar kein Zeitrahmen genannt. Doch heißt es dort, man erwarte, dass die Regierung Großbritanniens "die im Referendum getroffene Entscheidung so schnell wie möglich umsetzt".

Am Montag reist Steinmeier nun erst einmal kurzfristig nach Prag, zu Gesprächen mit den Außenministern der Visegrád-EU-Staaten (Tschechien, Ungarn, Polen, Slowakei). Dort will er mit seinen Kollegen aus dem Osten die Lage beraten, von denen sich manche im weiteren Abstimmungsprozess nicht ausreichend eingebunden fühlen.

Aber was denkt die Kanzlerin, in deren Haus die wesentlichen Entscheidungen zur Europapolitik gefällt werden? Merkel sieht - im Gegensatz zur SPD - offenbar keine Eile. In Potsdam, nach dem Strategietreffen von CDU und CSU, fasste sie ihre Haltung in einem typischen Merkel-Satz zusammen, der Optionen offenhält: "Ehrlich gesagt, soll es nicht ewig dauern, aber ich würde mich jetzt auch nicht wegen einer kurzen Zeit verkämpfen."

In der Union stichelt mancher bereits gegen die SPD und ihren Tempokurs. Der CDU-Europaabgeordnete Herbert Reul schrieb, ohne den Koalitionspartner direkt zu nennen, auf Twitter: "Brexit heißt, klar gehen die Briten aus der EU - aber einige Politiker übertreiben jetzt mit Schnelligkeit."

Die SPD drängt, die Union bremst: In welche Richtung im Kanzleramt auch gedacht wird, machte Peter Altmaier klar. "Die Politik in London sollte die Möglichkeit haben, noch einmal die Folgen eines Austritts zu überdenken", sagte der Merkel-Vertraute den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland. Wenn Großbritannien erst einmal tatsächlich ausgetreten sei, sei das "ein schwerer Einschnitt mit vielen Konsequenzen", so der CDU-Politiker und Chef des Kanzleramts. Schon kurz nach dem Referendum hatte Altmaier bereits deutlich gemacht, dass er nicht mit einem raschen Austrittsbeschluss der Briten rechnet. Zumindest nicht an diesem Dienstag auf dem EU-Gipfel.

Zusammengefasst: Am Montag kommt Angela Merkel im Kanzleramt mit dem Präsidenten von Frankreich, François Hollande, dem EU-Ratspräsidenten Donald Tusk und Italiens Premier Matteo Renzi zusammen, um über die Folgen des Brexits zu konferieren. Eine rasche Entscheidung Londons für den Beginn der Austrittsgespräche will die SPD, die Kanzlerin und ihre Berater halten sich jedoch zurück.

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