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Street-Fotograf Bill Cunningham: Ein New Yorker Wahrzeichen

Foto: Mark Lennihan/ AP

Legendärer Street-Style-Fotograf New York trauert um Bill Cunningham

Seine Kolumne in der "New York Times" galt als Modetrend-Bibel, er knipste Gala-Events ebenso wie den Stil der Straße - und wurde selbst zur Ikone. Der New Yorker Fotograf Bill Cunningham ist im Alter von 87 Jahren gestorben.

Man wird sie überall in der Stadt vermissen, die hagere Gestalt in der leuchtend blauen Arbeiterjacke, die auf dem Fahrrad durch die Straßen flitzt, eine 35-Millimeter-Kamera über die Schulter gehängt, jederzeit bereit, anzuhalten und ein paar Schnappschüsse zu machen: von B-Boys im Park, die ihre Shorts, Shirts und Sneakers auf besondere Art und Weise tragen, von Mädchen in Midtown, die kuriose kleine Rucksäcke tragen. Bill Cunningham gehörte zum New Yorker Stadtbild wie Yellow Cabs oder Hot-Dog-Stände von Sabrett, in geschäftigen Zeiten coverte er bis zum 20 Mode- oder Gala-Events pro Woche, immer auf der Suche nach dem besonderen Stil, dem originellen Accessoire, der Eleganz seiner City.

Seine Kolumnen "On the Street" und "Evening Hours", die er über Jahrzehnte hinweg in der "New York Times" mit seinen Bildern und Eindrücken befüllte, nannte das Magazin "New Yorker" einmal das "inoffizielle Jahrbuch" der Stadt. "Eine Straßenbilder-Strecke von Bill Cunningham zu betrachten war, als würde man ganz New York sehen", schrieb "New York Times"-Chefredakteur Dean Baquet am Sonntag auf Twitter. Cunningham war am Samstagabend in einem Krankenhaus an den Folgen eines Schlaganfalls verstorben. Er wurde 87 Jahre alt. "Seine Gesellschaft wurde von den Reichen und Mächtigen der Modewelt gesucht, doch er blieb einer der freundlichsten, sanftesten und bescheidensten Menschen, die ich je gekannt habe", erklärte "Times"-Herausgeber Arthur Sulzberger Jr.. "Wir haben eine Legende verloren".

Zu Cunninghams Musen zählten zahlreiche Persönlichkeiten der New Yorker High Society, darunter auch "Vogue"-Chefin und Mode-Ikone Anna Wintour, die in der 2010 veröffentlichten Dokumentation "Bill Cunningham in New York" sagte, "wir alle putzen uns nur für Bill heraus". Der Fotograf, so Wintour, habe ein Gespür dafür gehabt, was die ganze Stadt in sechs Monaten tragen würde. Er selbst bezeichnete sich in einem Interview mit der "New York Times" im Jahre 2002 weniger als Trend-Scout, denn als Sammler und Archivar: "Ich achte auf Dinge, die nicht unbedingt großen Wert haben, aber historisches Bewusstsein." Stets habe er darauf geachtet, so diskret und unauffällig wie möglich zu agieren, man bekomme "natürlichere Bilder" auf diese Weise, sagte er.

Archivar und Chronist der City

Nachdem der 1929 in Boston geborene Cunningham 1948 sein Studium in Harvard abgebrochen hatte, zog er nach New York, wo er zunächst unter anderem als Hutmacher und in der Werbebranche arbeitete, bevor er sich von der Armee rekrutieren ließ. Zurück in der City, begann er zunächst über Mode zu schreiben, wechselte aber schnell zur Fotografie. Bis zu 30 Fahrräder habe er in seiner langen Karriere als Street-Style-Jäger besessen, schrieb die "New York Times" in ihrem Nachruf und nannte ihren freien Mitarbeiter, der sich nie anstellen lassen wollte, einen "untypischen kulturellen Anthropologen".

Immer wieder suchte Cunningham auf seinem Drahtesel sein Hauptrevier Midtown Manhattan, aber auch abseitigere Gegenden der Stadt ab, um nebenbei auch Aufnahmen vor signifikanten Architekturen zu inszenieren. Ein Resultat dieser künstlerischen Arbeit war der Bildband "Facades", der 1978 erschien und Bilder sammelte, die zwischen 1968 und 1976 entstanden waren. Sämtliche 88 Original-Prints der Serie, für die Cunninghams Nachbarin und Kollegin Editta Sherman posiert hatte, spendete er der New York Historical Society.

Zusammen mit Sherman hatte Cunningham die Thrift Stores und Second-Hand-Läden der Stadt nach alten Kleidern durchsucht und ließ Sherman dann vor Gebäuden aus derselben Epoche posieren. Zu jener Zeit, Ende der Siebziger, war New York ein vermülltes, dreckiges Abbild von Verfall und Bankrott, doch Cunningham gelang es, inmitten dieser Abgründe zeitlose Schönheit zu zeigen und den steten Wandel der Stadt abzubilden. Auf einem der Bilder sitzt Sherman auf in großer Abendrobe und elegantem Hut in einer über und über Grafitti-verschmierten U-Bahn.

Die Kleidung musste besonders sein

Seine Lieblingsbühnen waren die Straßenschluchten von Manhattan und seine Lieblingsmodels ganz normale Menschen im Alltag - nur die Kleidung musste besonders sein. "Die eigentliche Modenschau hat doch schon immer auf der Straße stattgefunden", zitierte ihn die New York Historical Society einmal. Und so muss der strikt analog arbeitende Cunningham auch als Urvater aller Street-Style-Blogs gelten. Der Legende nach soll er in den frühen Siebzigerjahren einmal ganz besonderen Mantel fotografiert haben. Erst nach der Entwicklung der Bilder fiel ihm auf, dass die Person, die ihn trug, Hollywood-Star Greta Garbo war; "Ich sehe eben nur die Kleider." Mode war für Cunningham die "Rüstung, um den Alltag des Lebens zu überstehen", sagte er einmal. "Ich glaube nicht, dass man sie abschaffen könnte. Das wäre, wie als wenn man die Zivilisation abschaffen würde."

Er selbst legte auf Äußerlichkeiten und die Insignien des Ruhms wenig Wert, er begriff sich nie als Star, selbst dann nicht, als er 2009 von seiner Heimatstadt zu einem "lebenden Wahrzeichen" erklärt worden war. Bis zum Schluss lebte er in einem bescheidenen Apartment über der Carnegie Hall, in dem nur ein einzelnes Bett und viele, sehr viele Aktenschränke stehen.

Jeden Morgen frühstückte er nur zwei Blocks weiter im Stage Star Deli auf der West 55th Street, wo man ein paar Eier, Würstchen und Kaffee noch für unter fünf Dollar bekommt. Auch dort wird man Bill Cunningham schmerzlich vermissen. "Wir erinnern uns an Bills blaue Jacke und sein Fahrrad", schrieb New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio zum Tod Cunninghams, "aber wir werden uns vor allem an das lebhafte und lebendige New York erinnern, das er in seinen Fotos einfing."

Mit Material von dpa