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Russische Hooligans Trophäenschau im Internet

Russland gelobt Besserung im Umgang mit Hooligans. Doch was sind die Versprechen wert? In sozialen Netzwerken feiern die Randalierer ihre Gewalttaten bei der EM - offenbar ohne Konsequenzen.
Anhänger von Lok Moskau mit erbeuteter England-Fahne

Anhänger von Lok Moskau mit erbeuteter England-Fahne

Foto: VK.com

Bleibt Leonid Slutski Trainer der russischen Nationalmannschaft oder bleibt er es nicht? Wie sieht die Zukunft des russischen Fußballs aus, zwei Jahre vor der Weltmeisterschaft im eigenen Land? Das sind die Fragen, die den Gastgeber der WM 2018 momentan bewegen und auf die es bisher nur eine Antwort gibt.

"Slutski hat sich entschieden, die Nationalmannschaft zu verlassen und sich stattdessen auf die Arbeit im Verein zu konzentrieren", erklärte der russische Sportminister Witali Mutko am Samstag. Dabei wollte Mutko, der gleichzeitig auch Präsident des russischen Fußballverbands ist, den Trainer noch am Montag davon überzeugen, im Amt zu bleiben. Trotz des letzten Spiels gegen Wales, das die russischen Fans im Stadion von Toulouse mit "Schande, Schande"-Rufen quittierten und welches das peinliche Ausscheiden bei der EM in Frankreich besiegelte.

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EM-Spielort Marseille: Tränengas und fliegende Stühle

Foto: ANNE-CHRISTINE POUJOULAT/ AFP

Ein Turnier, das nicht nur aus sportlicher Sicht für Russland ein Desaster war. Denn die größten Schlagzeilen machten während dieser EM russische Hooligans, die mit einem kostenlosen Charterflug nach Marseille zu dem Spiel gegen England kamen. Gerade mal fünf Insassen dieses Flugs haben die französischen Behörden die Einreise verweigert. Die restlichen Passagiere waren den Franzosen unbekannt und konnten so problemlos die Flughafenkontrollen passieren und in der Hafenmetropole für Angst und Schrecken sorgen.

Hooligans als Opfer verkauft

Um zukünftig solche Szenen zu vermeiden, hat Mutko Veränderungen angekündigt. "Russland wird zukünftig die Daten bekannter Hooligans an andere Staaten weitergeben", erklärte dieser am Samstag. Eine Ankündigung, die sich mit Rückblick auf die letzten Tage wie Hohn anhört. Denn russische Politiker haben nicht nur die russischen Hooligans gelobt, so wie der stellvertretende Duma-Vorsitzende Igor Lebedew, sondern zeitgleich auch als Opfer dargestellt. Noch am Donnerstag erklärte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Marija Zacharowa, dass man den in Köln verhafteten Hooligans jede mögliche Hilfe zukommen lasse.

Ein wirklich deutliches Zeichen zu einer Kooperation mit ausländischen Behörden hätte die russische Seite bereits beim letzten Spiel der Sbornaja gegen Wales senden können. Denn ausgerechnet bei diesem Spiel war Alexander Schprygin anwesend, Chef des Dachverbands russischer Fußballfans (VOB) und einstige Größe der russischen Neonaziszene. Und dies, obwohl er erst zwei Tage vorher wegen der Ereignisse in Marseille ausgewiesen wurde.

Russland-Oberfan Schprygin (rechts)

Russland-Oberfan Schprygin (rechts)

Foto: livejournal.com

Schprygin twitterte Bilder von der Einreise, gab einer Nachrichtenagentur direkt aus dem Stadion ein Interview und stellte so die französischen Sicherheitsbehörden bloß. Und als ob dies nicht genug wäre, durfte er am Donnerstag gleich noch eine Pressekonferenz in den Räumen der staatlichen Nachrichtenagentur Tass abhalten.

Neues zu sagen hatte Schprygin dabei nicht. Zum wiederholten Male schimpfte er über die englischen Fans, die sich in Marseille schon drei Tage vor dem Spiel gegen Russland "mit den einheimischen Fans und der Polizei prügelten". Selbst für den Angriff russischer Hooligans auf die englischen Anhänger sieht er andere verantwortlich. "Wir waren schon im März in Lille, Toulouse und Marseille. Wir haben schon damals die Ereignisse vom 11. Juni vorhergesehen und gemeinsam mit dem russischen Fußballverband RFS die französischen Verantwortlichen davor gewarnt, dass bei dieser Ticketvergabe auch Engländer in der Nähe der russischen Fans sein könnten. Und so kam es", sagte Schprygin.

Russische Gewalttäter prahlen mit "Tour de France"

Der VOB-Vorsitzende ging während seiner Pressekonferenz jedoch nicht nur mit den französischen EM-Gastgebern hart ins Gericht, sondern auch mit der Uefa. "Der VOB hat noch während der EM vor Leuten gewarnt, die Pyrotechnik abbrennen", so Schprygin. "Doch noch jetzt wird bei dem Turnier Pyrotechnik gezündet. Das tun die Ungarn, die Polen, doch verantwortlich macht man nur uns", sagte Schprygin ganz in der Rolle des Opfers.

Trotzdem sei man bereit, währen der WM 2018 in Russland nicht nur ein Fanturnier stattfinden zu lassen, sondern auch einen Fankongress. "Wir laden alle ein. Die Franzosen, die Engländer, die Polen, denen wir bereit sind für 2012 zu verzeihen (Anm. d. Red.: Während der EM 2012 kam es in Warschau zu von polnischen Hooligans initiierten Krawallen mit russischen Hooligans). Wir sind bereit allen zu zeigen, dass bei uns alles in Ordnung ist", so Schprygin.

Kein Wort verlor der Chef des VOB jedoch zu den aus Russland angereisten Hooligans, hinter denen einige westliche Medien und selbst regierungsnahe Think Tanks wie das britische Whitehall gar Putins "hybride Krieger" vermuten . Dabei reicht schon ein Blick in Vkontakte, das russische Gegenstück zu Facebook, um diese Idee ad absurdum zu führen.

Auf einschlägigen Ultra/Hooligan-Portalen feiern dort die russischen Hooligans ihre "Tour de France". Nicht nur mit selbst gemachten Logos oder Fotos und Videos von den Schlägereien und ihren Opfern, sondern auch mit Fotos ihrer "Trophäen". Wie auch bei den Ultra- und Hooliganszenen in Westeuropa üblich, präsentieren sie die erbeuteten Fanutensilien anderer Gruppen. Neben unzähligen Fahnen englischer Fans sind dabei auch Flaggen polnischer und albanischer Fans zu sehen.

Die russischen Hooligans zeigen ihre Trophäen so offen, dass dies der "Novaja Gazeta" ausreichte, die in Marseille beteiligten Hooligangruppen zu identifizieren . 18 unterschiedliche "Firms", wie Hooligangruppen sich nennen, konnte die kremlkritische Zeitung bisher für die Ausschreitungen verantwortlich machen. Neben so berüchtigten Gruppen wie den "Orel Butchers", Hooligans des FK Orel oder den Lokomotiv Moskau-Hooligans "Funny Friends" und "Vikinki" reiste auch die Hooligangruppe "FCV Lads" nach Marseille. Eine Gruppierung aus dem Umfeld des lettischen Vereins FK Ventspils, die vorwiegend aus Mitgliedern der russischen Minderheit des baltischen Staats besteht.

Eine intensive Recherche im Internet könnte aber auch der russischen Polizei behilflich sein. Zu einem der Stars in den Ultraforen wurde ein gewisser Anton aus Sankt Petersburg. Dieser verkaufte im Internet eine in Frankreich erbeutete englische Flagge und gab dazu gleich seine Telefonnummer an. Doch über solche Erfolge der russischen Polizei ist bisher nichts bekannt.