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Kippende Drehachse Eisschmelze lässt Erde taumeln

Die Erde sucht ihr Gleichgewicht, ihre Drehachse wankt. Ursache ist der Klimawandel: Schwindende Gletscher lassen den Nordpol wandern.
Planet Erde

Planet Erde

Foto: HO/ AFP

Wie ein Kreisel dreht sich die Erde, jeden Tag einmal um sich selbst. Einen Kreisel lässt man kreisen, indem man ihn an seiner Achse dreht. Die Drehachse der Erde aber ist unsichtbar: Sie markiert jene senkrechte Linie, entlang derer der Planet im Gleichgewicht ist - und um die er sich dreht.

Die Drehachse durchstößt den Planeten vom Südpol zum Nordpol. Doch die Achse sucht ihre Balance, sie taumelt - der Punkt, an dem sie die Erde durchstößt, wandert. Mehrere Kräfte sind am Werk: Winde, Ozeanströme, Luftdruckschwankungen oder Unwuchten im Erdinnern zerren von allen Seiten.

Der Klimawandel habe den Taumel der Drehachse verstärkt, berichten nun Geophysiker im Wissenschaftsblatt "Science Advanced" . Weil die Erwärmung Gletscher schmelzen lässt, ändert sich die Verteilung von Massen auf der Erde, sodass sie aus dem Gleichgewicht gerät.

Um 15 Zentimeter pro Jahr rückt der Nordpol derzeit Richtung Europa, schreiben die Forscher um Surendra Adhkari von der Nasa. Er hat damit einen neuen Weg eingeschlagen.

Wasser umverteilt

Bis zur Jahrtausendwende hatte sich der Nordpol in Richtung Grönland bewegt, um 20 Meter in hundert Jahren - was wohl eine Folge der Eiszeit war: Der Schwund riesiger Eismassen in Nordamerika hatte die Drehachse kippen lassen. Warum die plötzliche Kursänderung?

Die Forscher meinen, die Ursache gefunden zu haben: Geschrumpfte Gletscher in Grönland und in der Antarktis, sowie Wasser, das sich auf dem Festland gesammelt hat.

Der Nordpol ist dort, wo die gedachte Drehachse aus der Nordhalbkugel tritt

Der Nordpol ist dort, wo die gedachte Drehachse aus der Nordhalbkugel tritt

Foto: NASA/ GSFC

Das Schmelzwasser der großen Eisschilde habe die Masse der Gletscher in Grönland und in der Antarktis verkleinert und es teils in die Ozeane verlagert. Seit 2003 hätte sich so viel Wasser umverteilt, dass die Drehachse nach Osten getaumelt sei.

"Ganz erstaunlich"

Die Studienautoren berufen sich auf Messungen der beiden "Grace"-Satelliten, die die Erde in rund 300 Kilometern Höhe umkreisen. Sie registrieren die Erdanziehung: Orte mit höherer Schwerkraft beschleunigen die Sonden. Den "Grace"-Satelliten und ihrem Nachfolger "Goce" verdanken Forscher genaue Karten der Erdanziehungskraft.

Die ermittelten Veränderungen der Schwerkraft seit 2003 passten gut zur Wanderung des Nordpols, schreiben die Forscher. Die Übereinstimmung sei "ganz erstaunlich", sagt Bernhard Steinberger vom Helmholtz-Zentrum Potsdam, der nicht an der Studie beteiligt war.

"Es ist nichts, vor dem man sich fürchten muss", ergänzt Jianli Chen von der University of Texas in Austin, USA. Seine Messungen  haben den Taumel der Drehachse aufgrund von Eisschmelze bestätigt.

Stärkere Effekte

Doch die Polwanderung nach Osten verläuft nicht gerade: Winde, Ozeanströme und Luftdruckschwankungen lassen die Drehachse der Erde stetig kreisen - ihre Pole wandern auf einer nahezu kreisförmigen Bahn mit einem Durchmesser von etwa 17 Metern - in der folgenden Zeichnung als rote Punkte gekennzeichnet. Die grüne Linie zeigt die Lage des Nordpols als Jahresmittelwert.

Wandernder Nordpol (für Großansicht Grafik anklicken)

Wandernder Nordpol (für Großansicht Grafik anklicken)

Foto: SPIEGEL ONLINE

"Diese Effekte sind also wesentlich größer", sagt Florian Seitz, Geodät an der Technischen Universität München. Doch die Wirkung der Eisschmelze bestimmt offenbar die Hauptrichtung der kreisenden Polwanderung: Kreisend taumelt die Drehachse gen Osten.

Andere Effekte könnten die Erde aber weitaus stärker ins Wanken bringen. Im Innern der Erde bewegen sich gewaltige Blasen geschmolzenen Gesteins - allerdings so zählflüssig, dass ihre Wirkung sich erst nach Jahrtausenden zeigt.

Kippende Erde

Unter Afrika und unter dem Pazifik zeigte die Durchleuchtung der Erde mittels Erdbebenwellen zwei solcher Blasen. Im Laufe der Jahrmillionen haben sie sich in der Nähe des Äquators eingependelt. Doch vor Urzeiten brachten sie den Planeten anscheinend extrem aus der Balance.

Zweimal in den vergangenen 100 Millionen Jahren sei die Erde so stark gewankt, dass Kontinente in neuen Klimazonen lagen, zeigen Simulationen von Steinberger. Die Erde kippte damals gegenüber ihren Drehpolen - Experten sprechen von Echter Polwanderung.

Vor 320 Millionen Jahren sei der Planet um 18 Grad verrutscht. Deutschland würde nach einem solchen Ereignis auf der Höhe der Sahara liegen. Vor 550 Millionen Jahren, just als höheres Leben entstand, scheint der Planet ebenfalls gekippt zu sein. Nordamerika etwa schob sich damals offenbar tief aus dem Süden auf den Äquator.

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