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Meeresspiegel-Prognose Der Untergang

Was würde geschehen, wenn die Klimaerwärmung ungebremst weiterginge? In Jahrtausenden käme es zu gewaltigen Fluten - das zeigen Simulationen.
Untergangsszenario: Die Simulation von Klaus Reicherter von der Universität Aachen zeigt, was aufgrund des Zusammenwirkens von Meeresspiegelanstieg und Landsenkung geschehen könnte, würde die Nordsee nach 10.000 Jahren um 35 Metern steigen. Nach 1000 Jahren wären es in der Simulation 3,5 Meter, nach 2000 sieben Meter, nach 5000 Jahren 17,5 Meter.

Untergangsszenario: Die Simulation von Klaus Reicherter von der Universität Aachen zeigt, was aufgrund des Zusammenwirkens von Meeresspiegelanstieg und Landsenkung geschehen könnte, würde die Nordsee nach 10.000 Jahren um 35 Metern steigen. Nach 1000 Jahren wären es in der Simulation 3,5 Meter, nach 2000 sieben Meter, nach 5000 Jahren 17,5 Meter.

Hamburg, weite Teile Schleswig-Holsteins und der Niederlande versinken im Meer, Brüssel wird Hafenstadt, ein Arm der Nordsee reicht bis Berlin - in 10.000 Jahren könnte das Meer weite Teile Mitteleuropas geflutet haben, sollten neueste Prognosen  tatsächlich eintreten. Ursache wäre der ungebremste Ausstoß von Treibhausgasen aus Fabriken, Kraftwerken und Autos.

Zwar beruhen solche Berechnungen auf erheblichen Unsicherheiten. So ist unklar, wie stark der Treibhauseffekt überhaupt wirkt und wie viel Gas der Mensch noch in die Luft blasen wird. Auch die Menge an Schmelzwasser aus Grönland und der Antarktis, die eine weitere Erwärmung tauen und ins Meer befördern würde, lässt sich nur grob schätzen.

Gleichwohl gibt es derzeit eine regelrechte Inflation an Studien, die den Untergang ganzer Landstriche in Aussicht stellen. Und bei allem Unwissen - die Untergangsorakel haben einen ernsten Kern: Das Abschmelzen erheblicher Teile der Eispanzer im Zuge einer weiteren Erwärmung erscheint möglich, sollte der Ausstoß an Treibhausgasen nicht eingedämmt werden.

Kohlekraftanlage in Shanxi, China. Dies Foto wurde gerade mit dem World Picture Award in der Kategorie Daily ausgezeichnet.

Kohlekraftanlage in Shanxi, China. Dies Foto wurde gerade mit dem World Picture Award in der Kategorie Daily ausgezeichnet.

Foto: Kevin Frayer/ Getty Images

Grund genug für die Geoforscher um Klaus Reicherter von der Universität Aachen, die Prognosen in einer Simulation zu veranschaulichen. Vorausgesetzt haben sie einen Anstieg des Meeresspiegels um zweieinhalb Millimeter pro Jahr für die nächsten Jahrtausende, derzeit steigen die Pegel sogar etwas schneller. Nach 10.000 Jahren ergibt sich so ein Hub von 25 Metern - ein Wert, den aktuelle Studien stützen.

Das Land kippt

Norddeutschland aber würde noch tiefer sinken, denn ein weiterer Effekt kommt hinzu: Das Land kippt - eine Nachwehe der Eiszeit: Seit in Skandinavien die kilometerhohen Eismassen getaut sind, hebt sich dort - von der Last befreit - das Land. Norddeutschland, auf der anderen Seite der Landwippe, senkt sich dabei.

Sturmflut bei Dagebüll (im Dezember 2013)

Sturmflut bei Dagebüll (im Dezember 2013)

Foto: Carsten Rehder/ dpa

Knapp einen Millimeter pro Jahr könnte sich das Land senken, haben die Forscher aufgrund aktueller Messungen angenommen. Aufgrund des Zusammenwirkens von Meeresspiegelanstieg und Landsenkung würde die Nordsee an der deutschen Küste nach 10.000 Jahren um 35 Meter steigen, folgert Reicherter.

Was das bedeuten würde, zeigt die Animation der Forscher: Teils weiter als hundert Kilometer dringt die Nordsee vor, fast bis nach Köln. Das Meer füllt das Urstromtal der Elbe, sodass es tief nach Brandenburg und fast bis nach Berlin schwappt. Neben den Niederlanden verlören auch Belgien und Dänemark große Flächen.

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Solch düstere Perspektiven seien keine Spielerei, schreiben 22 Forscher im Wissenschaftsmagazin "Nature" . Sie haben durchgerechnet, wie stark sich die weitere Anreicherung von Treibhausgasen aktuellen Klimamodellen zufolge auf den Meeresspiegel auswirken könnte.

Ihren Modellen liegt eine vergleichsweise empfindliche Reaktion des Klimas auf Treibhausgase zugrunde, sie rechnen mit einer Klimasensitivität von 3,5 Grad - diese Erwärmung würde also bei Verdopplung des CO2-Gehalts ausgelöst.

Eisberg vor der norwegischen Küste

Eisberg vor der norwegischen Küste

Foto: MARTIN BUREAU/ AFP

Schon gemäßigte Treibhausgasszenarien zeigen aufgrund dieser Annahmen katastrophale Fluten: Selbst wenn es gelingen würde, die globale Erwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, drohte der Meeresspiegel Jahrtausende lang zu steigen, um 20 bis 30 Meter, schreiben die Forscher. Hunderte Millionen Menschen wären direkt betroffen.

Zugrunde liegt auch die Vermutung, dass bereits wenig zusätzliche Erwärmung die Eisschilde Grönlands und der Antarktis destabilisieren könnte - insbesondere weil Gletscher am Rand der Kontinente tauen, die das Abfließen von Eiszungen aus dem Hinterland bislang blockieren.

Solche Prognosen sind allerdings umstritten, denn das Verhalten von Gletschern ist ungenügend bekannt.

Die Apokalypse

Würde die Menschheit alles an Kohle, Öl und Erdgas verbrennen, also sämtliche bislang bekannten Rohstoffe im Boden, wärmte sich die bodennahe Luft den Prognosen zufolge in rund 2000 Jahren um knapp zwölf Grad. Der antarktische Eispanzer würde in der Folge nahezu vollständig abtauen, sein Schmelzwasser ergösse sich ins Meer.

Die Deiche könnten dem steigenden Druck kaum standhalten

Die Deiche könnten dem steigenden Druck kaum standhalten

Foto: Rainer Jensen/ dpa/dpaweb

Die Ozeane würden Jahrtausende lang um gut drei Zentimeter pro Jahr steigen, zehnmal so schnell wie derzeit, zeigen Simulationen. Nach 10.000 Jahren höbe das Schmelzwasser die Pegel der Meere um gut 50 Meter.

Die Klimaschutz-Debatte konzentriere sich zu sehr auf die nahe Zukunft, allzu leicht würde vergessen, dass der Klimawandel Jahrtausende andauern könnte, schreiben die Forscher in "Nature". Treibhausgase blieben noch lange in der Luft, selbst wenn ihr Ausstoß gestoppt würde.

"Niemand kann so lange in die Zukunft sehen"

Der Anstieg des Meeresspiegels könnte zum größten Problem werden, meinen die Forscher. Gegen ein paar Meter höhere Fluten könnten sich Küsten womöglich rüsten, aber nicht gegen 25 Meter höhere Pegel.

Andere Wissenschaftler kritisieren Meeresspiegelszenarien, die Jahrtausende in die Zukunft reichen, etwa Polarforscher Heinz Miller vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung: Niemand könne für so lange Zeiträume seriöse Vorhersagen zum Abschmelzen der Eismassen liefern, sagte er jüngst.

Miller bezeichnete sie als "intellektuelles Experiment, ein gedankliches Spiel mit der Endzeit". Die "Nature"-Autoren halten dagegen: Die Klimapolitik der nächsten Jahre, mahnen sie, sei ein gefährliches Experiment.

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