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Streit über Balkanroute Gabriel und Steinmeier befürworten Schutz von EU-Binnengrenzen

Außenminister Steinmeier und Vizekanzler Gabriel sind zu einer stärkeren Sicherung der EU-Binnengrenzen bereit, um den Zuzug von Flüchtlingen zu kontrollieren. Das hatte die Bundesregierung bislang vermeiden wollen.
Minister Steinmeier und Gabriel: Notfalls für Schutz von EU-Binnengrenzen

Minister Steinmeier und Gabriel: Notfalls für Schutz von EU-Binnengrenzen

Foto: Rainer Jensen/ dpa

In der Flüchtlingskrise gab es bisher ein Mantra deutscher Außenpolitik, und es lautete: Die Reisefreiheit innerhalb des Schengenraums muss unbedingt erhalten bleiben; permanente Kontrollen an den inneren Grenzen darf es auf lange Sicht nicht geben.

Doch was Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel jetzt an europäische Parteifreunde schreiben, klingt anders: Die beiden SPD-Politiker zeigen sich bereit, "zusätzliche Maßnahmen an den Binnengrenzen Europas zu ergreifen", um die Flüchtlingsströme besser kontrollieren zu können.

Das Schreiben, das SPIEGEL ONLINE vorliegt, ist an die sozialdemokratischen Parteichefs, Außenminister sowie Staats- und Regierungschefs der EU gerichtet. Aus Kreisen des Außenministeriums war am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz zu hören, dass Steinmeier und Gabriel zwar weiterhin für einen besseren Schutz der Schengen-Außengrenzen sind, notfalls aber auch den zusätzlichen Schutz von EU-Binnengrenzen akzeptieren würden.

Bei dem Brief handele es sich um einen Vorstoß der beiden SPD-geführten Ministerien, hieß es aus dem Auswärtigen Amt. Ob Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vorab informiert war, blieb zunächst offen. Ebenso unklar ist, ob die angesprochenen Sicherungsmaßnahmen permanent oder nur vorübergehend sein sollen. Die aktuell von einigen EU-Staaten - auch von Deutschland - durchgeführten Kontrollen können laut EU-Recht maximal auf zwei Jahre verlängert werden.

"Man kann nicht einfach Europas Außengrenzen neu definieren"

Eine Sicherung der EU-Binnengrenzen müsse von allen EU-Staaten im Konsens beschlossen werden, betonen Gabriel und Steinmeier. Zugleich zeigen sie sich bereit, die Hilfen für Griechenland und andere Staaten mit EU-Außengrenzen im Mittelmeerraum "substanziell zu verstärken".

Grenzschließungen durch einzelne Staaten - und eine daraus folgende "Abschottung zu Lasten von Nachbarn" - lehnen die beiden Minister strikt ab. Dies könnte den bereits öfter geforderten De-facto-Ausschluss Griechenlands aus der Schengen-Zone zur Folge haben. "Man kann nicht einfach Europas Außengrenzen neu definieren, und das noch über den Kopf betroffener Mitgliedstaaten hinweg", schreiben Steinmeier und Gabriel.

Das ist vor allem ein Signal an die Visegrád-Staaten. Die Staats- und Regierungschefs Ungarns, Polens, Tschechiens und der Slowakei treffen sich am Montag in Prag, um über die Flüchtlingskrise zu beraten. Die vier Länder nehmen bislang die am stärksten ablehnende Haltung gegenüber Migranten ein - und daran scheint sich derzeit auch nichts zu ändern. Stattdessen scheinen sie entschlossen, die Balkanroute für Flüchtlinge abzuriegeln.

"Solange eine gemeinsame europäische Strategie fehlt, ist es legitim, dass die Staaten auf der Balkanroute ihre Grenzen schützen", sagte der slowakische Außenminister Miroslav Lajcak dem SPIEGEL. "Dabei helfen wir ihnen." Die Visegrád-Staaten wollen Mazedonien dabei unterstützen, seine Grenze zu Griechenland zu schließen. Griechenland fände sich dann praktisch außerhalb des Schengenraums wieder. Die Situation für die Flüchtlinge im Land würde sich wohl erneut dramatisch verschlechtern.

Koalition der Willigen unter deutscher Führung?

Die Bundesregierung verfolgt dagegen den Plan, die Schengen-Außengrenze zwischen Griechenland und der Türkei besser abzusichern. Damit die Türkei - die bereits rund 2,5 Millionen Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland Syrien aufgenommen hat - dabei mitspielt, will Merkel Ankara die Abnahme von Migranten-Kontingenten in Aussicht stellen und in der EU verteilen.

Das Problem: Kaum jemand in der EU mag der Kanzlerin folgen, selbst Frankreich nicht. Premierminister Manuel Valls lehnte am Samstag eine weitere Aufnahme von Flüchtlingen ab. Seine Regierung sei gegen ein permanentes System zur Umverteilung, sagte Valls bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Frankreich werde seine Zusage erfüllen, 30.000 Flüchtlinge aufzunehmen. "Dazu sind wir bereit, aber nicht zu mehr", so Valls.

Für Merkel ist das ein erneuter Rückschlag. Seit Wochen versucht sie, eine Koalition der Willigen zu schmieden. Am Donnerstag, einen Tag vor dem nächsten Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs, trifft sich die Kanzlerin erneut mit Vertretern mehrerer EU-Staaten und der Türkei. Doch die Chancen, dort auf größere Bereitschaft zur Aufnahme von Migranten zu stoßen, scheint gering. Selbst die bisher offensten Länder wie etwa Schweden betonen inzwischen, am Rande ihrer Leistungsgrenzen angelangt zu sein.

Sollte die EU der Türkei aber keine Kontingente abnehmen, dürfte Ankara kaum bereit sein, die Grenze nach Griechenland zu sichern. Das gilt erst recht, seitdem die Truppen des syrischen Machthabers Baschar al-Assad dank der Hilfe der Russen wieder auf dem Vormarsch sind und gerade die nächste große Flüchtlingswelle produzieren.