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Morning Briefing vom 13.2.2016 Liebe Leserin, lieber Leser,

was wird aus der politischen Kultur, also der Art, wie wir Debatten führen, und was wird aus dem Verhältnis der Medien zu ihren Lesern und Zuschauern? Wenn Horst Seehofer in aller Ruhe, nämlich in einem autorisierten Interview mit der Passauer Neuen Presse, der Bundeskanzlerin nachruft: "Wir haben im Moment keinen Zustand von Recht und Ordnung. Es ist eine Herrschaft des Unrechts", dann bedient er eine Sehnsucht nach dem Radikalen mit einer radikalisierten Sprache, einer Sprache des Notstands. Was will Seehofer erreichen? "Man darf das nicht als Plan verstehen, es ist eher die gedankliche Fluchtlinie, eine mehr oder weniger bewusste Vorbereitung", schreibt Jan Fleischhauer im Leitartikel der neuen SPIEGEL-Ausgabe. Sollte man Seehofer deshalb weniger ernst nehmen? Nein, sagt Fleischhauer, "der Ausweg aus dem Notstand ist der Putsch". Den ganzen Text finden Sie hier.

"Sie horchen nicht, was unten passiert"

Und wir, die wir voller Leidenschaft und Ernsthaftigkeit Journalisten geworden sind, nehmen wahr, dass diese hitzige Atmosphäre der vergangenen Wochen auch die Beziehung zwischen Medien und Publikum verändert hat. Was geschieht da? "Sie horchen nicht, was unten passiert", sagt SPIEGEL-Leser Siegfried Vollmert über die Medien, "die Presse hat sich von der Politik und ihrer Mission der politischen Korrektheit missbrauchen lassen." Meine Kollegen Markus Brauck, Georg Diez, Alexander Kühn, Martin U. Müller, Ann-Kathrin Nezik und Vanessa Steinmetz recherchierten, und die ZDF-Moderatorin Dunja Hayali sagte dem Kollegen Kühn: "Wenn wir unsere Glaubwürdigkeit zurückgewinnen wollen, müssen wir mit unseren Kritikern ins Gespräch kommen. Wir müssen ihnen erklären, wie wir arbeiten." Auch diesen Text finden Sie im neuen SPIEGEL (hier klicken); und wir laden Sie herzlich zur Diskussion ein. Schreiben Sie uns an: vertrauensfrage@spiegel.de

Was wird aus Deutschland, und was wird eigentlich aus Europa?

Pegida-Demonstration in Dresden: Mehr Gelassenheit wagen

Pegida-Demonstration in Dresden: Mehr Gelassenheit wagen

Foto: Sean Gallup/ Getty Images

Wer sich im Kanzleramt und in der Bundesregierung umhört, stößt auf zwei durchaus verblüffende Antworten. Erstens: Die Bundesrepublik könnte ein wenig Gelassenheit ganz gut vertragen, sie sei nämlich weit von allen Belastungsgrenzen entfernt, ein gesundes Land, das übrigens Migranten benötige; "ach, der Seehofer, soll er halt brüllen", das sagt ein Minister in Berlin. Zweitens: Ernsthaft gefährdet sei nicht Deutschland, sondern die EU. Also Europa. Also jenes gewaltige und gewaltig erfolgreiche Projekt, das uns 70 Jahre lang Frieden und Sicherheit beschert hat. In Berlin glauben inzwischen manche Eingeweihten, dass Europa in vielfacher Hinsicht nicht stark genug sei: dass die Strukturen so kompliziert seien, dass letztlich selten oder nie schnell und schlagkräftig genug gehandelt werde; dass die Euro-Krise und die Flüchtlingskrise kommunizierende Röhren seien und Zäune und Grenzen die andere Krise, die um die Währung, neu entfachen würden; dass Europa darum nicht robust genug sei für asiatische Konkurrenten und für all die Aufgaben, die sich nun stellen.

Und was kann die Lösung sein?

Gestern Abend trafen sich im Hamburger Rathaus 400 Ehrengäste zum Matthiae-Mahl, Bürgermeister Olaf Scholz hatte geladen. Politisch geht es an diesem Ort immer zu, diesmal aber waren Kanzlerin Angela Merkel und der britische Premierminister David Cameron die Ehrengäste. Angela Merkel betonte Europas "Fähigkeit zum Kompromiss" und "zu gemeinsamen Antworten" und nannte diese Fähigkeit "existenziell". Grenzen seien ein "Konjunkturprogramm für Schleuser". Und all jenen, die ihr entgegneten, es habe auch ein Leben vor Schengen gegeben, halte sie entgegen: "Es gab auch ein Leben vor der deutschen Einheit, da waren die Grenzen auch besser geschützt." Und Cameron sagte: "Ich möchte Großbritannien in einer reformierten Europäischen Union halten"; das Schlüsselwort dürfte "reformiert" gewesen sein. Die Hamburger erhoben sich und klatschten beglückt.

Aus dem neuen SPIEGEL könnte ich Ihnen eine Menge Texte ans Herz legen: Stefan Berg artikuliert sein Unbehagen in der Migrationskrise und schreibt über sein Bedürfnis nach Grenzen, und der grüne Tübinger Bürgermeister Boris Palmer verlangt leidenschaftlich einen Kurswechsel. Christoph Reuter, der am kommenden Montag in Berlin als Reporter des Jahres ausgezeichnet wird, berichtet zusammen mit Kolleginnen und Kollegen über den Brandherd Syrien und den "Krieg, der unsere Welt verändert"; er analysiert die westliche Ohnmacht und Wladimir Putins Strategien. Reuters Einschätzungen im Video gibt es hier. Und in der wunderschönen Titelgeschichte beschreibt Johann Grolle das, was sich kaum beschreiben lässt, auf eine Weise, die nur wenige Journalisten beherrschen. Forscher haben Gravitationswellen gemessen, Dellen in der sogenannten Raumzeit, ausgelöst durch die Kollision zweier schwarzer Löcher. Johann Grolle erklärt uns, was da geschehen ist, so, dass man es fühlt und versteht, und er sagt, was die wissenschaftliche Situation bedeutet: "Die Sprache der Sterne", heißt unser Titel. Wie erzählen Sterne ihre Geschichte? Sie brummen (hier geht es zum Titel).

Gewinner des Morgens

Ewald Lienen feiert nach dem Sieg über Leipzig

Ewald Lienen feiert nach dem Sieg über Leipzig

Foto: Martin Rose/ Bongarts/Getty Images

Die geneigten Leser mögen mir diese Parteilichkeit verzeihen. Ewald Lienen übernahm den FC St. Pauli Anfang 2015, als dieser so gut wie abgestiegen war. Lienen machte das, was ein Trainer machen sollte: Er arbeitete eine Strategie aus und dann, je nach Gegner, eine Taktik; er arbeitete mit seinen Spielern und sprach mit ihnen; und gestern schlug St. Pauli den Tabellenführer RB Leipzig 1:0. Leidenschaft schlägt Millionen, diese schönste Geschichte des Sports kann immer noch wahr werden.

Ich wünsche Ihnen eine beschwingte und erkenntnisreiche Lektüre und ein erholsames Wochenende,

herzlich

Ihr Klaus Brinkbäumer

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