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Sascha Lobo

S.P.O.N. - Die Mensch-Maschine Bargeld kann man nicht überwachen

Das Verbot von Bargeldzahlungen über 5000 Euro könnte nur der erste Schritt sein. Schließlich bietet die Abschaffung physischer Zahlungsmittel fantastische neue Überwachungsmöglichkeiten.
Geldscheine (Symbolbild): Bezahlen ohne Spuren

Geldscheine (Symbolbild): Bezahlen ohne Spuren

Foto: Corbis

Die Bundesregierung möchte das Geld abschaffen, eigentlich zu spät, die meisten Leute haben ja schon heute kaum mehr welches. Gesprochen wird laut einem Bericht der "FAZ"  natürlich zunächst nicht von der Abschaffung, sondern von einer Begrenzung der Barzahlung auf 5000 Euro. Aber es lohnt, den Kontext zu betrachten.

In der SPD wird über die Abschaffung des 500-Euro-Scheins diskutiert. Im Januar in Davos erklärte John Cryan, der Chef der Deutschen Bank,  es werde in zehn Jahren kein Bargeld mehr geben, es sei ja schrecklich ineffizient. Was auf den geneigten Verschwörungstheoretiker wirkt wie ein konzertierter Angriff auf das Bargeld, ist in Wahrheit simpler. Aber auch schlimmer: Es handelt sich nämlich um eine Ideologie, also eine Idee von Gesellschaft, deren Anhänger sich gar nicht konspirativ absprechen müssen, um immer wieder ihr Ziel zu proklamieren (ohnehin werden Verschwörung und Ideologie oft verwechselt).

Dahinter verbirgt sich die Ideologie der Kontrolle, genauer: eine Ideologie der automatisierten Kontrolle des Menschen durch Technologie, deren nähere Betrachtung sich lohnt. Eine ganze Denkschule geht davon aus, den Menschen als "Mängelwesen" zu betrachten , ein Begriff, den der Philosoph Arnold Gehlen mitgeprägt hat. Etwas vereinfacht bedeutet das: Der Mensch schafft und nutzt Technologie, um seine naturgegebenen Mängel auszugleichen.

Hört sich erst mal schnafte an. Aber wenn Technologie immer machtvoller wird, verselbstständigt sich das System und sucht sich immer neue Mängel im Menschen, die unbedingt behoben werden müssen. Einfach, weil es technisch machbar wird. Aus der Begründung der Bundesregierung - Zitat: "die gewachsene Bedrohungslage durch den internationalen Terrorismus" - wird dann deutlich, dass es sich um einen neuen Aufguss der immer gleichen Story handelt.

"Das Mängelwesen Mensch ist ein übles Geschöpf"

Das Ziel der Abschaffung des Bargelds ist die tausendste Variante der Überzeugung, dass man alle Menschen engmaschig und automatisiert kontrollieren müsse, um Sicherheit gewährleisten zu können. Diese autoritäre Ideologie, Kontrolle durch flächendeckende Überwachung, steht hinter der Radikalität von BND und NSA ebenso wie hinter der Vorratsdatenspeicherung. Es geht um eine verstörende und für eine aufgeklärte, offene Gesellschaft unwürdige Haltung. Wer nicht laufend aufs Neue beweist, dass er unschuldig ist, muss als verdächtig, also potenziell schuldig gelten.

Deshalb mündet die Attacke auf das schwer kontrollierbare und überwachbare Bargeld in einer katastrophalen Umkehr der Beweislast: Nur wer einen lückenlos dokumentierten, elektronisch überwachten Zahlungsverkehr vorzeigen kann, kann sich gegenüber dem Staat als Nicht-Terrorist beweisen. Das zugehörige Menschenbild: Das Mängelwesen Mensch ist so ein übles Geschöpf, dass es ohne durchgängig überwachtes Verhaltenskorsett beinahe automatisch ins Verbrechen abgleitet.

Damit diese bittere Ideologie aufrechterhalten werden kann, müssen immer mehr gesellschaftliche Prozesse in die Sphäre der ständigen Überwachbarkeit verschoben werden. Die Kontrollwahnsinnigen ertragen es kaum, die Ausspähpotenziale einer neuen Technologie nicht auszunutzen. Es kommt ihnen widernatürlich vor.

Besonders interessant an der Diskussion um das Bargeld ist, dass sich dabei die gewohnten Fronten verschieben. Leute, die eben noch begeistert für die Vorratsdatenspeicherung argumentiert haben, sehen in der Abschaffung des Bargelds einen Angriff auf ihre persönliche Freiheit. Dabei würde die Schutzbehauptung "Ich habe doch nichts zu verbergen" hier genauso funktionieren wie dort.

Was würde eine totalitäre Regierung mit den Gelddaten machen?

Die Ideologie der Kontrolle treibt die Begehrlichkeiten einer irrationalen, radikalisierten Sicherheitspolitik immer weiter voran, sie läuft dem technischen Stand hinterher. Jeder neue Anschlag und auch jede neue (egal wie falsche) Geschichte über die Terrorgefahr durch mangelnde Überwachung sät Angst und macht die Bevölkerung empfänglicher für technikgläubige Heilsversprechen. Wenn nur die Technologie genügend Kontrolle ausüben darf, dann lassen sich die Fehler von euch Mängelwesen ausgleichen! Dabei wird unter anderem ignoriert, dass nichts fehleranfälliger ist als menschengemachte Systeme und dass die heutige digital vernetzte Komplexität es schwieriger macht als je zuvor, diese Fehler auch nur zu entdecken, geschweige denn zu begreifen oder zu beseitigen.

Das Gefährliche an der Ideologie der automatisierten Kontrolle ist, dass sie keine natürliche Grenze kennt. Der steuerungswütige Staat und die Sicherheitsapparate werden niemals erklären, dass sie jetzt genug Daten haben. Im Gegenteil, mit jeder neuen Technologie, die neue, verhaltensbeschreibende Datenströme hervorbringt, wird zunächst die Möglichkeit der gesellschaftlichen Kontrolle geschaffen. Im Hintergrund immer drohend die Frage: Was würde eine an die Macht geratene rechtspopulistische Partei mit den Datenströmen tun, die durch die Überwachung aller Geldflüsse entstünde?

Auf die technische Möglichkeit und die rechtliche Umsetzung folgt dann verlässlich der Wunsch, beides auch auszunutzen. Entweder mithilfe des kapitalistischen Großnarrativs "Effizienz" (wie beim Deutsche-Bank-Chef) oder mit dem Versprechen von mehr Sicherheit. Eine Zahnbürste, die dokumentiert, wie oft und wie gut man sich die Zähne putzt, sehr interessant für die Krankenkasse. Ein Auto, das in Echtzeit analysiert, wie besonnen man fährt, ein vielversprechendes Sparpotenzial für die Versicherung. Oder eben die Abschaffung des Bargelds als Hebel, um den Konsum jedes Einzelnen zu überwachen. Wodurch zum Beispiel möglich würde zu bestimmen, wie viel Alkohol jemand kauft. Die Ideologie der automatisierten Kontrolle der Gesellschaft verspricht Markteffizienz und Sicherheit, sie kommt in den unterschiedlichsten Geschmacksrichtungen von Law-and-Order-Rechts über Effizienzradikal-Markthörig bis Staatsgläubig-Links daher. Und sie bringt alle Voraussetzungen für einen technologiegetriebenen Totalitarismus mit.

tl;dr

Die schwer überwachbare Sphäre des Bargelds ist ein baumgroßer Dorn im Auge der Kontrollideologen.

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Foto: SPIEGEL ONLINE