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Bürgerkriegsland: Libyens Angst vor dem IS

Foto: MAHMUD TURKIA/ AFP

Libyen Viel Öl, zwei Regierungen - und der IS breitet sich aus

Antike Stätten sind in Gefahr, die Ölfelder im Visier - der "Islamische Staat" weitet seinen Machtbereich in Libyen aus. Doch die zwei rivalisierenden Regierungen ignorieren die Lage.

Jetzt bedrohen die Fanatiker weitere Ruinenstädte. Sie liegen gut 3000 Kilometer entfernt in Libyen. Die Unesco sorgt sich um drei Weltkulturerbestätten in dem nordafrikanischen Land, die dem IS in die Hände fallen könnten. Laut Augenzeugen sind bereits Dschihadisten in die antike Stadt Sabratha westlich der Hauptstadt Tripolis eingerückt. Sabratha war im zweiten und dritten Jahrhundert eine florierende römische Hafenstadt, seit 1982 zählt sie zum Weltkulturerbe. Auch auf Kyrene im Osten Libyens rücken die Dschihadisten vor. Dort stehen unter anderem mehrere gut erhaltene griechische Tempel.

Archäologen fürchten, dass der IS in Libyen ähnlich vorgehen könnte wie im Irak und in Syrien: Zunächst werden die antiken Stätten geplündert, alles was sich transportieren und zu Geld machen lässt, landet auf dem Schwarzmarkt. Anschließend werden die Ruinen mit Bulldozern und Sprengstoff dem Erdboden gleichgemacht.

Streit um die Erdöleinnahmen

In ihren Hochburgen in Libyen, rund um die Küstenorte Derna und Sirte, haben Dschihadisten in den vergangenen Monaten und Jahren bereits zahlreiche Schreine und Mausoleen zerstört, in denen Heilige islamischer Sufi-Orden verehrt wurden. Der IS lehnt das Sufitum im Allgemeinen und die Verehrung von Toten im Speziellen streng ab. Nach der Ideologie der Salafisten ist das Götzenverehrung - so rechtfertigen sie auch die Zerstörung der antiken Stätten aus vorislamischer Zeit.

Weitaus wichtiger für den IS in Libyen sind jedoch die Ölförderstätten. Regierungsvertreter aus Frankreich und den USA haben in den vergangenen Tagen davor gewarnt, dass die Terrormiliz von der Küste nun ins Landesinnere vordringen könnte. Dort lagern die größten Ölvorkommen des afrikanischen Kontinents. Der italienische Eni-Konzern fördert täglich mehr als 300.000 Barrel Öl in Libyen - das sind 40.000 Barrel mehr als zu Zeiten des Diktators Muammar al-Gaddafi. Landesweit aber werden wegen des Bürgerkriegs derzeit nur rund 500.000 Barrel Öl gefördert, 2011 waren es noch mehr als drei Mal so viel.

Die Erdöleinnahmen machten zu Gaddafis Zeiten rund 96 Prozent der Staatseinnahmen aus. Seit dem Sturz des Diktators streiten rivalisierende Milizen um die Erlöse aus dem Ölgeschäft. Sie haben Förderstätten besetzt, blockieren Pipelines, kämpfen um Macht und Einfluss.

Seit einem Jahr hat Libyen sogar zwei rivalisierende Parlamente mit jeweils einer eigenen Regierung. Da ist zum einen das international anerkannte Repräsentantenhaus, das aus den Parlamentswahlen vom 25. Juni 2014 hervorging. Fünf Monate später erklärte das Oberste Verfassungsgericht die Wahlen aber für ungültig und löste die Kammer auf. Zum Zeitpunkt der Entscheidung hatten jedoch Milizionäre das Gerichtsgebäude in Tripolis umstellt und die Richter bedroht. Die Abgeordneten ignorierten daher das Urteil, wegen der prekären Sicherheitslage in der Hauptstadt tagt das Repräsentantenhaus allerdings in Tobruk, im Osten Libyens - mehr als tausend Kilometer von Tripolis entfernt.

"Wir lösen unsere Probleme selbst"

Dort bildeten die Wahlverlierer vom Juni 2014 kurzerhand ein Gegenparlament, das von den Muslimbrüdern und anderen islamistischen Gruppierungen dominiert wird. Die Führung in Tobruk wird maßgeblich von Ägypten unterstützt, die Islamisten in Tripolis werden von Katar und der Türkei protegiert.

Beide Parlamente nehmen für sich in Anspruch, das libysche Volk zu vertreten - vor allem aber kämpfen sie um die Geldquellen des Landes. Beide Seiten streiten vor Gericht um die Kontrolle über die Libyan Investment Authority (LIA), den einst von Gaddafi gegründeten Staatsfonds. Über wie viel Geld die LIA derzeit verfügt, ist wegen der Bürgerkriegswirren völlig unklar - die Schätzungen liegen zwischen 35 und 55 Milliarden Euro.

Zudem kämpfen die Rivalen in Tripolis und Tobruk um die Zentralbank und die Nationale Ölgesellschaft - beide Institutionen gelten als letzte halbwegs funktionierende staatliche Einrichtungen. Sie haben bisher überlebt, weil sie beide Parlamente und deren Milizen bis heute finanzieren.

Nun haben sich die Chefs der konkurrierenden Volksvertretungen zum ersten Mal persönlich getroffen. Eigentlich sollten Agila Salah aus Tobruk und Nour Abdisahmen aus Tripolis in Malta einen Uno-Plan für eine Einheitsregierung unterzeichnen. Und tatsächlich zeigten sich Salah und Abdisahmen auf der Mittelmeerinsel einig wie nie: Plötzlich verweigerten beide Seiten die Unterschrift. "Wir lassen die Welt wissen, dass wir in der Lage sind, unsere Probleme selbst zu lösen", sagte Salah nach dem Gespräch. Mehr als vier Jahre Bürgerkrieg sprechen eine andere Sprache.


Zusammengefasst: Libyens rivalisierende Parlamente weigern sich, den Uno-Plan für eine Einheitsregierung zu unterzeichnen. Die Terrororganisation "Islamischer Staat" nutzt die Uneinigkeit, um ihre Macht auszubauen. Westliche Regierungen fürchten, der IS könnte Ölfelder erobern, Archäologen sorgen sich um die antiken Stätten des Landes.