Gastautor / 28.11.2015 / 06:30 / 6 / Seite ausdrucken

Opfer, Retter und Verfolger - über das deutsche dramatische Dreieck

Von Manfred Haferburg

„Haltet den Schuft – er schürt Ängste, er spielt Rechtspopulisten und Rechtsextremen in die Hände, er befeuert irrationale Befürchtungen…“ ist der kollektive Aufschrei der deutschen Eliten auf jede noch so geringfügige Abweichung von der politisch vorgeschriebenen Willkommens- und Durchhalte-Rhetorik. Nur und ausschließlich die Blockwarte der öffentlichen Meinung wissen, was, wie, wann und wo gesagt werden darf, damit die tumben Latenznazi-Bürger des Landes ja nicht auf falsche Ideen kommen.

Der Bundesinnenminister hat gar so wenig Vertrauen in die Denkfähigkeit seiner Wähler, dass er ihnen nicht mal zutraut, die Wahrheit über angekündigte Terroranschläge zu erfahren, denn “Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern”. Welche Arroganz dem Stimmvieh gegenüber sich hier manifestiert, ist den „Eliten“ offenkundig gar nicht bewusst. Unmündigkeit kommt neuerdings als Bürgertugend daher. Dahinter steckt eine zutiefst patriarchalische Einstellung, die sich anfangs sanft als „nudging“ und derzeit durch offene und rüde Bedrohung der Existenz von Abweichlern manifestiert.

Wehe den Defätisten, die es wagen, selbstständig zu denken und die verordnete Meinung zu hinterfragen. Die Nazikeule kreist mit ventilatorischer Drehzahl über der öffentlichen Meinung. Alle Andersdenkenden werden als Opfer ihrer wahlweise „dummen, irrationalen, tumben, hirnlosen, rechtspopulistischen, naziaffinen, fremdenfeindlichen, homophoben, islamophoben u.v.a.m.“ Natur in die rechte Ecke gestellt. In der rechten Ecke herrscht so ein Gedränge, dass die dorthin verfrachteten Leute anfangen müssen, sich zu organisieren.

Was aber steckt hinter diesem irrsinnig selbstzerstörerischen Umgang mit einem real existierenden Problem? Das altbekannte „dramatische Dreieck“ der Transaktionsanalyse nach Karpmann und Berne kann uns hier ein bisschen Klarheit vermitteln. Das dramatische Dreiecks-Beziehungsmuster besteht aus zwei Parteien, die sich in drei Rollen tummeln - Opfer, Retter und Verfolger. Es gibt kein festes Ende dieses Prozesses und die Rollen wechseln willkürlich und ständig.

Doch beginnen wir beim Anfang. Die deutschen Eliten sahen sich zu Beginn dieses Prozesses als Retter an, welche die vermeintlichen Opfer, nämlich die einfachen Bürger, mit ihren „irrationalen Ängsten, ihren Phobien und ihrer latenten rechten Meinungen“, vor sich selbst retten mussten. Die „Opfer“ wurden dabei nicht gefragt, ob sie gerettet werden wollten.

Die Opfer reagierten zu weiten Teilen unfroh, als sie merkten, dass sie von den Eliten vor etwas gerettet werden sollten, das sie gar nicht als Problem wahrnahmen - sie fühlten sich eher bevormundet. Dies artikulierten sie auf ihre gewohnt demokratische Weise: in Leserzuschriften, in den sozialen Medien und sogar auf den friedlichen Demonstrationen der vielen Gidas. 

Diese vermeintliche Undankbarkeit der Opfer löste bei den Rettern ihrerseits nunmehr Unverständnis und Wut aus. Die Opfer wollen nicht gerettet werden? Also müssen sie doch tatsächlich so abgrundböse sein, wie befürchtet.

Die Retter wechselten die Rolle und wurden zu Verfolgern. Die Opfer wurden mit allen möglichen negativen Eigenschaften behängt, um sie einzuschüchtern und zum vermeintlichen Wohlverhalten zu drängen. Aber, wie immer im Leben - Actio gleich Reactio - jetzt schlüpften die einstigen Opfer in die Verfolgerrolle und fingen an, die einstigen Retter zu verfolgen: „Lügenpresse, Merkel muss weg…“ Das geht gar nicht! Sofort wurden aus den Eliten erneut Verfolger, diesmal mit Wut im Bauch auf die „braune Soße“ und es wurde weiter blindlings mit der Nazikeule um sich geschlagen.

Das ist der derzeitige Zustand unserer Gesellschaft: das dramatische Dreieck ist in einer Eskalationsspriale gefangen und bedroht die Demokratie Deutschlands. Die Gesellschaft ist tief gespalten.

Wie kann der Teufelskreis des dramatischen Dreiecks aufgebrochen werden? Es gibt nur einen Weg: die Retter müssen die Opfer fragen, ob sie wirklich gerettet werden wollen?

Aber da bin ich zugegebenermaßen mehr als skeptisch. Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass die deutschen Eliten sich zu einer Volksbefragung durchringen. Weil sie deren Ausgang ganz genau erahnen und auch ganz genau zu wissen glauben, dass man dem tumben rechtslastigen Wahlvolk solch schwierige Entscheidungen nicht zutrauen kann.

Was die Eliten bei all ihrer vermeintlich geistigen Überlegenheit noch nicht bedacht haben: es bahnt sich in unserem Land ein neues, noch viel dramatischeres Dreieck an. Die Eliten haben vor allem Flüchtlinge als Opfer ernannt. Noch lassen sich die Flüchtlings-Opfer von den Elite-Rettern ungefragt retten. Aber es gibt schon Anzeichen, dass diese „Opfer“ nicht immer das eingeforderte Wohlverhalten und die Dankbarkeit „anständiger Opfer“ an den Tag legen. Was, wenn die Hoffnungen vieler Flüchtlinge auch noch maßlos enttäuscht werden? Was angesichts ihrer Zahl niemanden verwundert. Was, wenn „wir“ das nicht schaffen? 
Wenn dieser Prozess eskaliert mag ich mir gar nicht vorstellen, was dann geschieht.

Manfred Haferburg ist in der DDR aufgewachsen und lebt heute in Paris. Das Vorwort zu seinem Roman Wohnhaft schrieb Wolf Biermann.

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Leserpost

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Dr. Axel de Gouden / 29.11.2015

Womit wir es zu tun haben ist der gekränkte Sündenstolz unserer DichterInnen & DenkerInnen, die sich von der Realität zutiefst beleidigt fühlen. Zwar haben die Genossen Blockwarte hierzulande den totalen bzw. totalitären Sieg davongetragen, weil das freiheitlich gesinnte Lager wieder einmal auf ganzer Linie versagte, indem es den Kalten Krieg vorzeitig und unilateral für beendet erklärte; Aber der Rest der Welt – abgesehen von ein paar Knallchargen – hat vorerst genug von unseren einstigen Exportschlagern. Wenn es mit rechten (will heißen: linken) Dingen zuginge, würden die Mächtigen von Washington bis Peking freilich an den Lippen von Gonstantin Gäßmann-Grass hängen. Anspruch contra Wirklichkeit: Der Geltungsdrang (“Am Deutschen Wesen…”) ist ungebrochen, doch kein Hahn kräht mehr nach ideologischen Dogmen made in Germany. Einzig dem Öko-Faschismus gebe ich noch eine Chance. Angesichts der Lächerlichkeit, der wir uns mit der “Energiewende” preisgeben, macht sich allerdings auch in der Hinsicht peu à peu Katerstimmung breit.

Max Wedell / 28.11.2015

Was die Fragen des vorletzten Absatzes angeht… es ist doch ziemlich absehbar, wie es in Zukunft weitergeht. Sobald die Integration der Umgesiedelten zumindest partiell scheitern wird, wird die Schuld beim “unbelehrbaren” Teil der Deutschen gesucht und gefunden… sie sind es, die die Neubürger ausgrenzen und diskriminieren… alle Naselang wird man den Hinweis hören, daß erhöhte Kriminalitätsraten und dramatisch erhöhte Arbeitslosenraten unter den Neubürgern auch nicht den Rahmen dessen sprengen, was in deutschen sozialen Randgruppen zu beobachten ist. Wie auch bei deutschen sozialen Randgruppen wird es praktisch keine Eigenverantwortungen geben, sondern jegliche unschöne, kritikwürdige Erscheinung ist natürlich Resultat einer Ausgrenzung und Diskriminierung durch die Mehrheitsgesellschaft… und ist also dann ein weiterer Ansporn gutmeinender Kreise, diese mit Umerziehungsversuchen zu traktieren… Linke wären vermutlich weit weniger begeistert von dieser Flut von Armutseinwanderern, wenn die Gefahr bestünde, daß durch die spektakulären Umstände des Scheiterns der Integration vieler dieser Armutseinwanderer irgendwann einmal zweifelsfrei herauskommen könnte, daß der ein weltfremder Idiot war, der eine halbwegs problemfreie Integration solcher Zahlen von Armutseinwanderern für möglich hielt. Das wird aber niemals geschehen, diese Sorge müssen Linke nicht haben. Wenn es nicht die Dunkeldeutschen waren, die das Scheitern zu verantworten haben werden, wird es der “Neoliberalismus” sein, der auch regelmäßig seine Standard-Verursacherrolle zugewiesen bekommt, sobald hierzulande soziale Randgruppen diskutiert werden… Dies wird also die linke Position sei, wenn es dereinst zu größeren Folgeproblemen kommt: Wir Helldeutschen haben unser Bestes getan, aber Dunkeldeutschland und Kapitalismus/Neoliberalismus haben unser hehres Bemühen sabotiert, uns Stöcke zwischen die Beine geworfen. Je größer die Probleme sind, desto besser eigentlich für Linke, denn desto dringlicher kann natürlich die Notwendigkeit von noch mehr Umerziehung und grundlegender Systemveränderung im Wirtschaftlichen behauptet werden.

Peter Schaefer / 28.11.2015

Werter Haferburg, Sie schreiben: “Wie kann der Teufelskreis des dramatischen Dreiecks aufgebrochen werden? Es gibt nur einen Weg: die Retter müssen die Opfer fragen, ob sie wirklich gerettet werden wollen?” Das ist generell richtig, aber dafür muß in irgendeiner Art und Weise ein Bewußtsein beim Retter entstehen und er sich selbst und seine Rolle erkennen oder zumindest erahnen. Hier kommt aber, um bei der Sache zu bleiben, das Nudging ins Spiel, welches sich bei Regierungen demokratischer Länder erstaunlicher Beliebtheit erfreut und genau das verhindert. Die Nudger nehmen die anderen eh nicht ernst, sondern infantlisieren diese und so müssen sie sich gar nicht erst mit deren Wünschen und Vorstellungen auseinandersetzen. Folglich tanzen alle weiter im Dreieck und das ganze endet mit einem großen Knall, der sehr schmerzhaft werden dürfte.

Kerstin Drechsler / 28.11.2015

Also noch einmal zum Mitschreiben: Wer heute Sorgen im Zusammenhang der inneren Sicherheit aufgreift, der “instrumentalisiert” und “schürt dumpfe Ängste”! Wer hingegen die “Krebsgefahr beim Wurstessen” oder auch die Angst vor Radioaktivität aus Fukushima anspricht, der “klärt auf”, “artikuliert berechtigte Anliegen” und verhält sich richtig. Noch Fragen?

Ralf Schülke / 28.11.2015

Dem darf ich noch zwei Punkte hinzufügen: - Was, wenn die anfängliche Euphorie der “gut"meinenden Helfer in enttäuschte Liebe umschlägt - eben weil da nicht nur “Opfer” kommen? - Was, wenn die wahnsinnige Politik der offenen Grenzen und der daraus folgenden ungezügelten Masseneinwanderung bei gleichzeitiger grotesker Verharmlosung der Probleme und ausgrenzender, elitärer Beschimpfung der kritischen Bürger endgültig die Würde und das innerste Empfinden dieser Bürger angreift? Meiner Meinung nach ist dieser Punkt sogar bereits überschritten, und ich sehe es als eine gefährliche Erniedrigung an. Auch dies ist stets eine gefährliche Sache, und auch wenn historische Vergleiche stets mit Vorsicht zu genießen sind, so drängt sich in mir desöfteren eine Parallele zu der Wirkung des Vertrags von Versailles auf.

Stefan Ahrens / 28.11.2015

“In der rechten Ecke herrscht so ein Gedränge, dass die dorthin verfrachteten Leute anfangen müssen, sich zu organisieren.” Wie wahr! Gerade als Linker müsste man jetzt davor Sorge haben, wie die “Eliten” die Massen mutwillig und in Scharen nach “rechts” treiben. Offenbar gibt es aber nur noch wenige Linke, die sich ohne Anleitung ihres eigenen Verstandes bedienen und solche Entwicklungen vorhersehen können….

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