Ich bin mit beinah nichts einverstanden, was die Bundeskanzlerin derzeit unternimmt oder unterlässt. Ich vermute, etwa der Hälfte aller Deutschen geht es wie mir. Ein großer Teil derjenigen, die sie gewählt haben, dürfte inzwischen auch mit der Politik der Kanzlerin nicht einverstanden sein.
So halte ich es auch mit der Loose Cannon der deutschen Politik, dem hyperaktiven und ebenso erfolglosen Minister Steinmeier. Von Heiko Maas, der versehentlich zum Justizminister und Minister für Verbraucherschutz ernannt wurde, will ich gar nicht erst reden; es reicht mir zu wissen, dass er vor kurzem über einen Verwandten, einen “fliegenden Weihnachtsmann” in Saarbrücken, getwittert hat.
Dennoch würde ich nie auf der Idee kommen, mich vor dem Kanzleramt, dem Außenamt oder dem Justizministerium aufzubauen und ein Plakat mit den vier Worten “Nicht in meinem Namen!” in die Höhe zu halten. Dazu bin ich einfach zu schüchtern und zu bescheiden. Und ich habe schon immer Leute bewundert - und auch ein wenig beneidet -, die ohne das Peinlichkeits-Gen auf die Welt gekommen sind: Jürgen Drews, Iris Berben, Hella von Sinnen, Howard Carpendale, Verona Feldbusch, die ganze Redaktion von “Bauer sucht Frau” und Peter Altmaier, den Mann für das Grobe und die rechte Hand der Kanzlerin.
Ja, Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr. Vor ein paar Tagen hat eine Gruppe, die sich “Nicht in meinem Namen!” nennt, in der Nähe des Leo-Baeck-Hauses in Berlin Mitte, in dem der Zentralrat der Juden seinen Sitz hat, gegen ein Interview demonstriert und protestiert, das Josef Schuster, der derzeitige Präsident des Zentralrates, der WELT gegeben und in dem er sich für “Obergrenzen” bei der Zuwanderung angesprochen hat. Außerdem hat er darauf hingewiesen, dass viele der “Schutzsuchenden” aus Ländern kommen, in denen die Rechte und die Würde von Minderheiten (Juden, Schwule usw.) nicht ganz so viel gelten wie bei uns.
Nun wäre Schuster sicher gut beraten gewesen, sich vor dem Gespräch mit der WELT mit der Berliner Fraktion der Nicht-in-meinem-Namen-Bewegung abzusprechen, um Ärger zu vermeiden. Leider hat er nicht einmal daran gedacht, was in der Tat von einem gewissen Maß an Arroganz zeugt. Und so blieb den “Juden gegen Rassismus” nichts anderes übrig, als Schuster die Leviten zu lesen. “Wir schämen uns für und distanzieren uns ganz ausdrücklich von den rassistischen Aussagen Josef Schusters” gaben sie auf Facebook bekannt, bevor sie sich auf den Weg zum Leo-Baeck-Haus machten.
Das ist echt geil, auch wenn das Verhalten dieser Gruppe Fragen aufwirft. In wessen Namen sprechen die “Juden gegen Rassismus”? Mich zum Beispiel haben sie nicht gefragt, ob sie in meinem Namen sprechen dürfen. Hätten sie es getan, wäre ich auch zu der Demo gekommen, um mich von ihnen ebenso zu distanzieren, wie sie sich von Josef Schuster distanzieren: “Nicht in meinem Namen, Ihr Knallchargen!”
Nun ist “Jude”, anders als Architekt, Homöopath und Sternekoch, keine geschützte Berufsbezeichnung. Jeder kann sich “Jude” nennen, ebenso wie Anlageberater, Dolmetscher und Eventmanager. “Du Jude” ist in den letzten Jahren auch zu einem beliebten Kosewort auf Schulhöfen geworden, auf denen multikulturelle Vielfalt gelebt wird. Dennoch wüsste ich gerne, wer von den Demonstranten “Jude” war, sei es im Sinne der Halacha, der Nürnberger Gesetze oder der ARD und des ZDF, wo man gerne “jüdische Zeugen” gegen Israel aufmarschieren lässt.
Okay, ich will nicht kleinlich sein. Meinetwegen kann sich jeder Jude nennen, der einen Bismarck-Hering von einer Dose “gefillte Fisch” unterscheiden kann oder “Moses und Aron” von Arnold Schönberg gesehen hat. Mich treibt etwas anderes um. Warum haben diese lobotomierten Kretins der “Nicht-in-meinem-Namen”-Gruppe ausgerechnet vor dem Sitz des Zentralrates der Juden demonstriert? Warum nicht vor der CDU-Zentrale, obwohl sich viele “Innenpolitiker der Unionsparteien aus Bund und Ländern” dafür ausgesprochen haben, “Flüchtlinge vorübergehend an der deutschen Grenze abzuweisen”?
Warum nicht vor dem Amtssitz des Innenministers, der ebenfalls für “eine Begrenzung der Anzahl von Flüchtlingen” plädiert? Warum nicht vor der schwedischen Botschaft, nachdem die schwedische Regierung eine “weitgehende Verschärfung der Grenzkontrollen und Asylregeln” angekündet hat? Warum nicht vor dem Hauptquartier der Grünen? Haben die “Juden gegen Rassismus” nicht mitbekommen, dass auch Dem Özdemir inzwischen laut über Maßnahmen zur Begrenzung des Zuzugs nachdenkt und auch der MP von BW, Kretschmann, “für eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen” plädiert?
Fragen über Fragen. Und niemand, der mir darauf antworten könnte. Und so vermute ich, dass die “Juden gegen Rassismus” in der Wolle gefärbte Antisemiten sind. Einen Antisemiten erkennt man u.a. daran, dass er Juden etwas übelnimmt, das er Nichtjuden nicht übel nimmt. “Jüdisches Kapital” war bekanntlich ein “raffendes”, das arische dagegen ein “schaffendes”.
Um von dieser Vermutung abzulenken, haben die “Juden gegen Rassismus” - nicht ungeschickt - eine falsche Spur gelegt. Sie verlangten, Deutschland sollte “sechs Millionen Flüchtlinge” aufnehmen. Ja, die magische deutsche Zahl, deutscher als alle anderen, sechs Millionen! Ich finde diesen Gedanken durchaus überlegenswert. Wenn jeder ermordete Jude durch einen Flüchtling, vorzugsweise einen Muslim, ersetzt wird, wird Deutschland seine verlorene Unschuld wieder erlangt haben. Und die “Juden gegen Rassismus” werden sich vom Acker machen, um nicht von den Objekten ihrer Fürsorge eines auf die Fresse zu bekommen.