Single Seat: Der Zahlensalat ist endlich sortiert

Zu teuer für ein paar Tage im Jahr? Das EU-Parlamentsgebäude in Straßburg. [Erich Westendarp / PIXELIO]

Straßburg, Brüssel, Luxemburg: Seit Jahren klagen Kritiker, mehrere EU-Parlamentssitze seien teuer, aufwendig und unsinnig. Nun hat der EU-Rechnungshof erstmals Zahlen vorgelegt, die die Zusatzkosten aufschlüsseln. Argument genug für einen einzigen Sitz in Brüssel, sagen viele EU-Abgeordnete.

Als der Grüne EU-Abgeordnete Gerald Häfner und der britische Konservative Ashley Fox im November 2013 per Bericht eine Änderung der EU-Verträge forderten, ging es im Kern um eine seit vielen Jahren umstrittene Tatsache: Die Mehrheit der EU-Parlamentarier würde gerne selbst über ihren Arbeitsort bestimmen, darf es aber nicht. Denn dass neben Brüssel auch Straßburg Sitz des Parlaments ist, legen EU-Verträge fest, die nur der Rat der Mitgliedsstaaten ändern kann – einstimmig.

Das aber wollte Häfner nicht nicht länger hinnehmen. Das regelmäßige Pendeln des gesamten Parlamentes zwischen Brüssel und Straßburg sei nicht nur eine „sinnlose, teure und umweltschädliche Zeit- und Geldverschwendung, die die Arbeitsfähigkeit und Effizienz der Abgeordneten massiv behindert“, klagte er damals. Der Status quo betreffe auch die „Reformfähigkeit Europas“ im Gesamten und damit eine „Kernfrage europäischer Demokratie“.

Häfners Bericht, der forderte, den Tagungsort des Parlaments künftig selbst entscheiden zu können, wurde mit 73 Prozent Zustimmung im Plenum angenommen. Die Abgeordneten stellten damit klar, dass sie dem Pendeln gerne ein Ende setzen würden.

317 Tage im Jahr ungenutzt

Seit Jahrzehnten geht das Europaparlament einmal im Monat auf Reisen. 3.000 bis 4.000 Menschen, davon rund 800 Abgeordnete, ihre Assistenten, Mitarbeiter und Dolmetscher ziehen dann vier Tage samt ihren Akten von Brüssel in das gut 400 Kilometer entfernte Straßburg. 317 Tage im Jahr bleiben die Räume ungenutzt.

Kritiker klagen seit Jahren, dieser „Wanderzirkus“ sei aufwendig und teuer. Die bisherige Arbeitsweise sei „in der Praxis nicht immer leicht zu handhaben“, heißt es auf einer Infoseite der EU. Sechs Fraktionen im EU-Parlament unterstützen mittlerweile die sogenannte Single Seat Kampagne für eine Zentralisierung des EU-Parlaments.

Bislang aber fehlten verlässliche Zahlen zu den Mehrkosten – und damit auch eine solide Diskussionsgrundlage. Je nach politischer Absicht wurden Dinge willkürlich hinein- oder herausgerechnet.

Erstmals konkrete Zahlen

Nun aber hat der Europäische Rechnungshof, auf Aufforderung durch das Parlament, erstmals eine unabhängige Analyse zu möglichen Einsparungen bei einer Zusammenlegung der Arbeitsorte Straßburg, Luxemburg und Brüssel vorgelegt. Demnach würde besonders ein Umzug aller Mitarbeiter von Luxemburg nach Brüssel über 50 Jahre 80 Millionen Euro einsparen. Vor allem ein Umzug von Straßburg nach Brüssel aber würde die Kosten enorm drücken: Nach heutigem Wert ließen sich mindestens 2,5 Milliarden Euro in den kommenden 50 Jahren sparen. Das wären 113,8 Millionen Euro pro Jahr.

„Endlich sortiert der Rechnungshof den bisherigen Zahlensalat. Mit den Berechnungen sind Horrorzahlen von Straßburg-Gegnern vom Tisch“, sagt die Europaabgeordnete Inge Gräßle von der EVP. Gleichzeitig aber seien 113,8 Millionen Euro pro Jahr an Doppelausgaben erheblich, urteilt die Vorsitzende des Haushaltskontrollausschuss im EU-Parlament, die sich in der Vergangenheit wiederholt damit rühmte, dass sie auch nach zehn Jahren politischer Arbeit in Brüssel dort nicht besonders beliebt ist.

Unbeliebt könnte sie sich nun auch bei den Straßburg-Befürwortern machen. Sie versprach, mit der Studie werde sich nun der Haushaltskontrollausschuss des Europäischen Parlaments befassen.

Frankreich muss angemessen entschädigt werden

Ein Umlenken des Rates allerdings ist noch immer unwahrscheinlich, vor allem wegen der Haltung Frankreichs. „Auf eine Aufgabe von Straßburg als Zweitsitz des Parlaments wird sich Frankreich nicht einfach so einlassen“, ist der EVP-Abgeordnete Elmar Brok überzeugt. Der Sitz sei für das Land als Wirtschaftsfaktor genauso wie als Zeichen des Status innerhalb der EU bedeutsam, sagt er im Gespräch mit EURACTIV.de.

Viele deutsche Christdemokraten haben zwar bislang Straßburg als Symbol der Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich verteidigt, würden einen einzigen Sitz als Vereinfachung der parlamentarischen Arbeit jedoch begrüßen.

Auch Brok, der in seiner 34-jährigen Tätigkeit als EU-Abgeordneter oft genug nach Straßburg gependelt ist, ist zwar grundsätzlich für eine Aufgabe Straßburgs als zweiten Parlamentssitz. Er mahnt jedoch zu Behutsamkeit: „Die Deutschen sollten die letzten sein, die eine Aufgabe Straßburgs fordern“, sagt er. Damit Frankreich einlenkt, müssten die anderen Länder faire Alternativen anbieten, ist Brok überzeugt. Als Ausgleich könnten Brok zufolge etwa Brüsseler EU-Institutionen wie der Wirtschafts- und Sozialausschuss oder der Ausschuss der Regionen ins Elsass umgesiedelt werden. „Auch eine neue EU-Universität in Straßburg wäre eine Option“, sagt er.

Zusatzkosten nicht vor Bürgern vertretbar

Fordernder äußert sich der ebenfalls im Haushaltskontrollausschuss sitzende Sozialdemokrat Jens Geier. „Knapp 114 Millionen Euro Einsparungen pro Jahr sind immerhin rund sechs Prozent des Verwaltungshaushaltes und damit kein Pappenstiel“, sagt er gegenüber EURACTIV.de. Indem Straßburg als ein Sitz beibehalten wird, müssten viele Abgeordnete ein Prinzip vertreten, hinter dem sie selbst nicht stehen. „Verständlicherweise nähren die Zusatzkosten durch mehrere EU-Sitze das Unverständnis der Bürger gegenüber der EU nur noch weiter.“

Geier fordert, die Änderung des entsprechenden EU-Vertrages müsse unbedingt mit der nächsten Vertragsrevision auf den Tisch. „Damit die Regierungen sich für die Aufgabe Straßburgs entscheiden, müssen die Bürger aktiv auf sie einwirken“, sagt Geier. Auch die Bundesregierung müsse dazu Position beziehen.

Keine Entschädigung mit bloßem Prestigeprojekt

Unterstützung erhält Geier von der Grünen EU-Haushaltsexpertin Helga Trüpel. Auch sie plädiert für Brüssel als alleinigen Parlamentssitz, hält jedoch wenig davon, sich auf die Entschädigung Frankreichs „mit einem bloßen Prestigeprojekt“ zu konzentrieren.

„Es müsste sich schon um ein sinnvolles, zukunftsgerichtetes Projekt handeln, so dass sichergestellt wird, dass Gelder sinnvoll verwendet werden“, sagt Trüpel im Gespräch mit EURACTIV.de. Sinnvolle Einsparungen sähen die Grünen laut Trüpel aber auch in anderen Bereichen, etwa indem Abgeordnete auf Kurzstrecken nicht mehr business-class fliegen.

Der Parlamentssitz in Straßburg verdeutliche die historische Leistung der EU sehr eindrücklich, so Trüpel. „Allerdings würde Straßburg der Sitz des Europarates bleiben und als symbolischer Ort nicht aufgegeben werden.“ Das Europäische Parlament dürfe darum nicht aufhören, Druck auf Frankreich auszuüben, in dieser Frage einzulenken.

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